BIKE PETER – Eine Affäre mit dem Land der Drachen: Bhutan

Interview mit RC Peter Paulo dos Santos | Part 2

Das erste Interview mit Bike-Peter veröffentlicht im „Indienfahrer 4“ hat eine Flut von Nachfragen ergeben, sodass wir uns entschlossen haben, das Gespräch fortzuführen und nahtlos an die letzten Ereignisse im Leben von Bike-Peter anzuknüpfen.

Für neue Leser sei gesagt, dass sich Peter als Privatunternehmer in Indien durchgesetzt hat. Er bietet Motorradtouren im ganzen Land an.

Am 16. und 17. Februar 2013 hat eine große indische Event-Agentur, gesponsert von Harley Davidson, ein Biker Festival (Motorrad-Wochenende) in Vagator (Goa) organisiert. Ein Biker Treffen mit Musik, Live-Bands, schönen Frauen und natürlich Motorrädern. Dabei wurde wie üblich bei solchen Anlässen eine Menge Bier getrunken. Im Verlauf des Abends wurde noch zusätzlich, oder überflüssigerweise, eine Flasche Whiskey geöffnet. Als das Biker Treffen nach 22 Uhr zu Ende ging, so streng sind die Regeln in Goa – allerdings nicht für alle Veranstaltungen -, hatte sich Bike-Peter in den Kopf gesetzt, dass er, als echter Biker, natürlich mit dem Bike nach Hause fahre. Und das, obwohl seine Leute ihn eindringlich davor gewarnt hatten, mit Verweis auf seine unübersehbare Schlagseite…

„Ich habe nicht darauf gehört, habe dabei völlig vergessen, dass ich mit einer XT Yamaha mit 45 PS da war und nicht mit einer Enfield mit 22 PS. Wenn man mit der XT ein bisschen Gas gibt und in den zweiten Gang raufschaltet ist man bald auf 80 Stundenkilometern. Genau das habe ich gemacht. In der zweiten Kurve habe ich zuerst ein Taxi gestreift, dann einen Fußgänger und schließlich bin ich vom Bike geflogen.“

Glücklicherweise ist er so gelandet, dass das Motorrad nicht auf ihm drauf lag.Denn er hatte nichts anderes an als ein paar Schlappen, eine kurze Hose, T-Shirt, keinen Helm, lediglich eine Sonnenbrille auf dem Kopf. „Ich bin bewusstlos auf der Straße gelegen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. 15 Minuten später bin ich von der Polizei geweckt worden. Die machten das mit einem Eimer Wasser, um zu sehen, ob ich noch lebe.“

Die Polizisten wollten ihn aber nicht ins Krankenhaus bringen. Sie hatten gerade keine Zeit. Das Fest war zu Ende, die Biker fuhren los, und das ist die Stunde, in der man gut abkassieren konnte. „Zu uns sagten die Polizisten: ‚Haut ab, nehmt den mit‘.
Ich musste keine Strafe zahlen, der Taxifahrer war weg, der Fußgänger auch. Mich haben meine Leute nach Hause gebracht. Wir hatten gerade eine deutsche Ärztin zu Besuch. Die hat geschaut, ob alles ok ist.“ Bike-Peter stand mir nur vier Tage später gegenüber mit blauen Flecken, Abschürfungen am rechten Bein und Oberarm, aber, wie er versicherte, nichts gebrochen und nichts geprellt. Ein dickes Auge noch dazu, ein sogenanntes Veilchen.

„Am nächsten Morgen als ich in den Spiegel schaute, dachte ich, da habe ich mich wohl mit jemand auseinandergesetzt. Ich hatte keinerlei Erinnerungen mehr. Meine Jungs haben mir dann alles erzählt. Ich habe mich für mein Verhalten geschämt und mich dann entschuldigt, denn ich hatte die eiserne Regel gebrochen, bei Alkohol das Taxi oder den Jeep zu nehmen. Ich habe hier unglaublich viel Glück gehabt.“

Es sind sechs Jahre her, seit unserem letzten Gespräch und viele Leute haben nachgefragt, wie es dir wohl weiter ergangen ist in Indien mit deiner aufregenden Geschichte sowohl geschäftlich als auch privat?

Geschäftlich ist es mir in den letzten fünf Jahren besser ergangen als je zuvor. Wir haben in den letzten Jahren eine starke Nachfrage nach unseren Touren erlebt, auch mit meinem Marketingpartner in Deutschland stehen wir prächtig da. Ich habe mein Team erheblich vergrößert. Wir haben komplett neue Reiseziele und Motorrad-Touren aufgebaut, vor vier Jahren sind wir das erste Mal nach Thailand gekommen, und haben in Chang Mai ein richtiges Biker Paradies vorgefunden.Eingeladen hat mich der Amerikaner Rob Challender, der wie ich auch einer der Ersten war, der im Himalaya Motorrad-Touren angeboten hat.

Rob hat sich dann aber aus Indien und Nepal zurückziehen müssen und hat seine Enfields nach Thailand verschifft. Ich bin bei Ihm eine Tour mitgefahren. Organisatorisch war das eine Katastrophe und die Enfield Bullets erwiesen sich dort als völlig ungeeignet. Die Straßen sind in Thailand viel besser als in Indien, der Verkehr ist disziplinierter und das Angebot an Bikes ist ein anderes. Hier in Indien gibt es außer der Enfield kein Angebot an größeren Motorrädern, die international ernst genommen werden.

In Indien ist die Enfield das Maß aller Dinge und in Thailand überhaupt nicht. In Indien kannst du selten 80 Stundenkilometer über eine längere Strecke hinweg fahren — in Thailand aber schon. Und das hält eine Enfield nicht aus. Ich habe mich dann umgesehen und herausgefunden, dass es Kawasakis gibt, die für den Weltmarkt gebaut werden, mit 650 Kubik, 2 Zylindern und 70 PS und die werden in Thailand relativ günstig verkauft. Da ist mir die Idee gekommen, dass man tropische Bike Touren in Thailand mit „richtigen Motorrädern“ ausprobieren müsste.

Wir organisierten erst mal eine Pilottour. Ein Schweizer, namens Armin, der in Nordthailand ansässig ist und sogar die thailändische Staatsbürgerschaft hat, ist seit 30 Jahren in der Reisebranche in Südostasien ein gefragter Spezialist. Er ist mit eingestiegen und innerhalb von drei Jahren haben wir dort ein klasse Team aufgebaut und schon 15 Touren unternommen.

Für mich war es eine willkommene Wiederentdeckung von schnelleren Motorrädern. Sportliches Fahren ist in Thailand durchaus möglich, denn du musst du nicht wie in Indien in einer Kurve mit zwei sich überholenden Bussen oder Lastwagen rechnen, das passiert dort einfach nicht. Das Engagement in Thailand hat sich also eher nebenbei entwickelt.

Aber auch in Indien haben wir eine neue „Drei-Seen-von-Ladakh-Tour“ zusammengestellt, mit allen landschaftlichen und kulturellen Höhepunkten und komfortabler An- und Abreise nach Ladakh via Flugzeug. Diese Tour ist seit 3 Jahren ein Renner. Fünf Gruppen schicken wir jeden Sommer auf die höchsten Pisten und Pässe der Welt. Eine weiteres Tour Projekt, das sich sehr gut entwickelt hat, ist Bhutan. Ich habe mich nicht nur mit der Möglichkeit von Bike Touren in Bhutan beschäftigt, sondern ich habe dort auch die Frau kennengelernt, die mich in den letzten fünf Jahren begleitet hat und zu einem sehr wichtigen in meinem Leben geworden ist. Ihr Name ist Y. Die Geschichte erzähle ich gleich, jetzt gehe ich erst mal auf die Toilette.

Ungewohnt schwerfällig und vorsichtig erhebt sich Bike-Peter aus seinem bequemen Stuhl, humpelt davon und sagt: „Ich werde doch etwas nervös bei der Story….“

[…]

Es begann 2005. Ich war auf unserer zweiten oder dritten Motorradtour in Bhutan unterwegs. In den Osten des Landes konnten wir noch nicht reisen. Nur das westliche Drittel des Landes war damals für den Tourismus geöffnet. Das Ende der Tour war in der einzigen Stadt mit Flughafen, Paro, 65 Kilometer westlich der Hauptstadt Thimphu.

Den Vorabend vor unserer Ausreise wollte ich mit einem Teil der Gruppe in einem Karaoke-Pub verbringen. Einfach mal gucken und was trinken. Es waren viele Einheimische, vor allem Mädels, da und eine davon hat mir gleich gut gefallen. Sie war sehr lustig und saß am anderen Tisch mir gegenüber. Sie hat auch am Mikrofon gesungen und wir haben angefangen zu flirten. Als der Laden zumachte hieß es, es gäbe noch eine Disco, die auf hat. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Die Disco war ein besserer Bretterverschlag mit einer Stereoanlage, Getränkeausschank und Einheimischen.

Ich war der einzige Westler dort. Die etwas älteren Leute aus meiner Gruppe hatten sich alle verabschiedet. Sie ist mitgekommen und wir haben miteinander getanzt. Wir haben rumgeknutscht, und als der Laden dicht machte, es war schon spät, sind wir noch ein bisschen durch die Gegend gelaufen. Sie hatte ihren Bruder als „Aufpasser“ dabei. Es war trotzdem gut und ich hatte mich in das Mädel verliebt.

Als sich endgültig unsere Wege trennten, um vier Uhr morgens, habe ich ihr schnell noch meine Visitenkarte zugesteckt.

Am nächsten Morgen bin ich mit der Gruppe von Paro abgeflogen und es blieb eine sehr schöne Erinnerung, aber irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass es wahrscheinlich dabei bleibt.

Später habe ich dann doch meinen lokalen Führer auf sie angesetzt und ihr eine Botschaft zukommen lassen. Ich erhielt keine Antwort und so war die Sache für mich erledigt. Im Sommer 2006 spazierte ich durch Delhi und kriege plötzlich ich einen Anruf auf meinem Mobiltelefon: ‚Erinnerst du dich noch, ich bin das Mädchen aus Bhutan? Ich will dich wiedersehen. Ich liebe dich so sehr.‘ Da ist bei mir das Herz aufgegangen. Das Dumme war nur, wir hatten gerade keine Touren in Bhutan. Wir haben angefangen öfter miteinander zu telefonieren und ich habe ihr vorgeschlagen, nach Indien zu kommen. Sie sagte: ‚Ich bin noch nie aus Bhutan raus. Ich bin noch nie geflogen. Aber ich habe einen Pass.‘

Bhutanesen brauchen für Indien kein Visum und umgekehrt. Also konnte sie kommen. Ich habe ihr etwas Geld geschickt, damit sie Vertrauen zu mir gewinnt und auch unabhängig ist. Danach habe ihr die Flugtickets besorgt und mich mit ihr im Oktober in Delhi verabredet. Ich hatte zwei Alternativen, entweder mit ihr nach Pushkar in Rajasthan zu einer Vollmondparty zu fahren, (die ganze Karawane, die sonst in Goa ist, wäre dort versammelt gewesen), oder ich nehme sie mit ins Kullu Valley, mein Lieblingstal, und wir verbringen gemeinsam eine Zeit bei Freunden. Nach der ersten Nacht in Delhi war klar, wir fahren in die Berge. Die „Nuss“ war geknackt nach etwa einer Stunde…

Die Flasche Rotwein war noch nicht mal ausgetrunken. Das fing richtig gut an. Mit dem Nachtbus fuhren wir dann hoch in die Berge. Mit einer Enfield sind wir durchs Tal gerattert. Zehn Tage machten wir Honeymoon und für mich war klar: ‚Ich will mehr.‘ Sie musste nach Bhutan zurück und ich nach Goa.

Ich war der Hauptgast und Sponsor bei der Hochzeit von Ranjita, meiner Managerin und der guten Seele in meinem kleinen Resort „Casa Tres Amigos“ . Sie heiratete Subash, auch einem meiner langjährigen Mitarbeiter. Y. sollte in Bhutan in der Zwischenzeit alles so regeln, dass sie nachkommen konnte, was sie dann auch tat. Sie ist vier Monate geblieben und das war eine wirklich schöne Zeit. Der Start einer richtigen Beziehung. Y. hatte vorher in Bhutan in einem Fünf-Sterne-Hotel als Zimmermädchen gearbeitet hat.

Sie hat drei Kinder von einem Ehemann, der sie nicht gut behandelt hat und außerdem noch Alkoholiker war. Sie hatte sich bereits von dem Mann scheiden lassen, was übrigens in Bhutan üblicher ist als in Indien. Sie war frei, denn ihr Ex-Ehemann kümmerte sich um die drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter im Alter von 6, 10 und 14 Jahren. Die Kinder gingen in Delhi auf eine internationale Schule. Er war persönlicher Assistent eines wichtigen Regierungsbeamten, der in der bhutanischen Vertretung in Delhi tätig war.

Der Ex-Ehemann hatte inzwischen auch eine neue Frau. Y. ist sehr charmant, sie war damals 34, konnte sehr gut mit Leuten umgehen, ihr Englisch war „almost perfect“. Sie verstand es auch unsere Biker und Gäste immer gut unterhalten. Sie war auch für mich die perfekte Beifahrerin. Eine Frau, die alles auf dem Bike mitmachte aber eben auch eine typische Asiatin, die als Frau in ihrer Rolle aufgeht, um für den Mann da zu sein und ihm zu helfen. Ich hatte plötzlich ein sehr viel leichteres Leben, weil ich mich um viele Dinge nicht mehr kümmern musste. Sie hat sich bei unseren Reisen komplett ums Gepäck gekümmert, denn wir waren ja meistens unterwegs mit irgendwelchen Gruppen.

Sie hat den Koffer ausgepackt, alles eingeräumt, hat dafür gesorgt, dass alles ordentlich an seinem Platz ist. Sie hat Essen bestellt, sowie alle Getränke, die Abrechnungen gemacht und ich konnte mich mehr um die Leute kümmern. Es war eine tolle Symbiose. Wir haben uns da gegenseitig gut getan, und sie hat das erste Mal richtig die Welt gesehen. Sie ist aus dem zwar schönen, aber doch isolierten Bhutan rausgekommen und hat all die schönen Plätze gesehen, die sie nur aus den Bollywood Filmen kannte.

Das fing mit Manali im Kullutal an, es folgten Spiti, Ladakh, Nepal und so weiter. Unsere Beziehung entwickelte sich gut. Ich hatte sehr viel Vertrauen zu ihr. Wir sind im Herbst 2007 zusammen auf eine Bhutantour gegangen, das hat auch wunderbar funktioniert. Sie war besser als mein lokaler Führer. Neben den Besuchen der buddhistischen Klosterburgen (Dzongs) hat sie die Gäste und mich zu lokalen Ereignissen mitgenommen, die man sonst als normaler Tourist überhaupt nicht zu sehen bekommt.

Was für eine Sprache spricht man in Bhutan?

Man spricht dort neun Sprachen. Es gibt eine Hochsprache, die heißt Dzonka, und ist dem Tibetischen angelehnt. Die meisten Bhutaner sprechen Hindi, der Bollywood Filme wegen, viele sprechen auch Nepali und manche Tibetisch. Dzonka sprechen rund 60% der Bevölkerung. Je weiter man in den Osten kommt, sprechen sie dort auch noch andere Dialekte und haben auch unterschiedliche Schriften.

Ist es schwierig ein Visum für Bhutan zu bekommen?

Nein. Als Tourist zahlst du 250 Dollar Mindestumtausch am Tag. Eine Zehn-Tage-Bhutan-Tour kostet bei uns 5500 Euro ohne Flüge. Da kannst du dir vorstellen, wer sich das leisten kann. Und die Touren sind immer voll. Ich mache zwei lange und zwei kurze Touren jedes Jahr.

Was bedeutet eine lange Tour?

Die lange Tour erstreckt sich über 17 Tage. Sie fängt an im indischen Darjeeling, führt über Sikkim. Von Westen dann nach Bhutan rein und im Osten Richtung Assam wieder raus. Die kurze Tour trifft mit der langen Tour am Flughafen Paro in Bhutan zusammen, und beide zusammen durchqueren dann in 10 Tage Bhutan vom Westen nach Osten bis wir in Assam in Ostindien wieder rauskommen.

Hat Bhutan auch eine Fluggesellschaft?

Ja. Die Druk-Air. Die haben zwei kleine Airbusse und zwei kleine Propellermaschinen. Von Delhi, Kathmandu, Dakar und Bangkok aus fliegen sie jeden Tag Paro an. Von Kalkutta fliegen sie nicht täglich.


Ich habe dich in deiner Erzählung unterbrochen.

Durch Y. habe ich einen Bhutanesen kennengelernt, der an sie herangetreten ist, nachdem er gehört hatte, dass ich nun häufiger in Bhutan sein werde und in Indien diese Bike-Firma habe. Tandin heisst er und er ist in Bhutan ein ziemlich bekannter Unternehmer. Der hat die erste Disco und den ersten Snooker-Saloon aufgemacht. Er kommt aus einer adligen Familie, und er war ein Biker mit Herz und Seele. Der wollte unbedingt in das Bike Geschäft einsteigen und gleichzeitig war er davon überzeugt, dass Bhutan einen richtigen Biker Club brauche. Einen Motorcycle-Club.

Den wollte er gründen, da steckte er gerade in den Vorbereitungen. Dieser Club, die Bhutan-Dragons MC, die Drachen von Bhutan, ist dann 2008 gegründet worden; mit 12 Mitgliedern. Er war natürlich der erste Präsident. Ein bisschen unbeholfen in allem aber mit dem richtigen Spirit ausgestattet. Ich habe ihn dann mal nach Ladakh eingeladen auf eine Tour, damit er sieht, wie wir unsere Touren organisieren. In so einem Land wie Bhutan mit 700.000 Menschen, wovon über die Hälfte in Dörfern lebt, ohne Strom und Straße, wo es also nur eine ganz kleine gebildete, irgendwie westlich oder kosmopolitisch ausgerichtete Oberschicht gibt, da sind Biker richtige Exoten. Es gab vielleicht 30 oder 40 Leute, die sich fürs Motorradfahren interessierten. Für die anderen war das nur ein Fortbewegungsmittel. Wie das Auto.

Es gab damals kaum Straßen. Inzwischen gibt es einige mehr. Ich bin natürlich sofort in den Verein eingetreten. Wurde dann von einem buddhistischen Priester mit einer Zeremonie aufgenommen. Plötzlich hatte ich eine enge Beziehung zu Bhutan. Für mich war Bhutan das Paradies. Ich dachte, jetzt habe ich das gefunden, was ich immer gesucht hatte. Vorher dachte ich, es ist das Kullu Tal im Indischen Himalaya, aber jetzt ist es halt Bhutan.

Ich hatte mir damals gesagt, warum nicht in Bhutan leben? Da gibt es nur eine Möglichkeit, um als Ausländer das Aufenthaltsrecht zu bekommen und das ist heiraten. Meine Freundin war auch dazu bereit. Durch Tandin haben wir einen Interview Termin beim höchsten Richter bekommen. Das ist der Mann, der darüber entscheidet, ob eine Ehe tatsächlich eine Liebesheirat ist und in Bhutan akzeptiert wird.

Wir mussten dazu hoch angesehene Zeugen mitbringen die bestätigen konnten, dass wir tatsächlich aus Liebe heiraten wollen und nicht, um nur Aufenthaltsrecht zu bekommen. Und er hat uns das OK gegeben. Ich musste noch ein paar Papiere besorgen, hier in Goa vom Bürgermeister, dass nichts gegen mich vorliegt, dass er mich seit zehn Jahren kennt und dass ich nicht verheiratet bin. Das gleiche Schreiben aus Deutschland. Damit hätten wir heiraten können und das war dann auch geplant für das Frühjahr 2009. Also April/Mai, denn zu der Zeit hatte ich gerade keine Touren und das Heiraten hätte bis zu sechs Wochen mit all den Zeremonien gedauert. Wir waren beide soweit. Aber dann kam noch eine zweite Idee auf. Wir hätten im gleichen Zeitraum auch nach Deutschland reisen können. Viele Asiaten haben ja den Traum, einmal in den Westen zu fahren, in die USA, England oder nach Deutschland. Y. meinte, wir könnten auch später noch heiraten, das liefe uns ja nicht weg. ‚Lass uns nach Deutschland gehen.‘

Dann habe ich angefangen, das Visum für sie zu beantragen, was nicht leicht war, denn Deutschland hat keinerlei Vertretung in Bhutan, das läuft alles über Indien. Da mein Wohnsitz in Goa ist, war das deutsche Konsulat in Mumbai dafür zuständig. Mein Vater musste zum Ausländeramt gehen und eine Einladung hinterlegen bzw. bürgen.

Eine aus dem Konsulat ausgegliederte Agentur hat alle Papiere auf Echtheit überprüft, schließlich wurde Y. noch persönlich zu einem Kurzinterview vorgeladen, um zu entscheiden ob sie ein Visum erteilt bekommt oder nicht. Dann sind wir nach Deutschland gereist und hatten gemeinsam eine phantastische Zeit dort.

Es war, wie alle zwei Jahre, eine große Sauerland-Biker-Party angesetzt. In diesem Jahr kamen fast 300 Biker Freunde in eine Waldschützenhalle zum feiern, eine richtige Biker Party halt, mit Lagerfeuer, Grillen, Live-Music, Dia- und Filmvorträgen. Meine Y. war der Gast mit der weitesten Anreise. Ich habe ihr in Deutschland alles gezeigt, was so möglich ist, angefangen von Hamburg und St. Pauli, Kölner Dom und Altstadt, Schloss Neu Schwanstein, dann München und Berlin, das wir mit der Rikscha erkundet haben, dazu das Nachtleben dort, und schließlich haben wir eine tolle Zeit im Sauerland bei meinen Eltern und Geschwistern verbracht.

Mein Vater hat sie zum Bundesligaspiel auf Schalke eingeladen. Das war ein gigantischer Event. Im Bergstaat Bhutan kommen nie mehr Leute als vielleicht 100 zusammen. Plötzlich steht sie unter 60000 Fußballfans. Leider hat Schalke an diesem Tag verloren. Aber die Stimmung war trotzdem gigantisch. Sie hatte natürlich auch ein Schalke-T-Shirt, Schal und all die Sachen. Eine Woche später spielte im gleichen Stadion AC/DC. Da wollte mein Bruder mit der ganzen Clique hin. Die haben uns dann auch noch Karten besorgt. Das war natürlich eine noch viel größere Show. Wir waren im Innenraum direkt vor der Band. Wo die Leute drücken und schieben, wo du auch die ganze Energie des Konzertes mitbekommst. Ich glaube, das hat sie tief beeindruckt, mich übrigens auch.

Meine Familie, meine Eltern und Freunde hatten sie sofort freundlich aufgenommen. Es war klar, dass wir zusammen gehören und ein Paar sind. Unsere Beziehung war auf einer langen Schiene angelegt. Nach zwei Monaten sind wir wieder zurückgeflogen und im Sommer in Ladakh auf Tour gewesen, im Herbst in Spiti, dann Nepal, schließlich Goa. Im November hatten wir eine Bhutan-Tour und danach wollte sie eine Weile zu Hause bleiben wegen der Familie.

Sie hat neun Geschwister und eine Mutter, die sich inzwischen aus allem Weltlichen zurückgezogen hat und als Nonne lebt. Durch unsere Beziehung war sie über mich inzwischen zum Hauptsponsor der Familie geworden. Sie hatte ein neues Haus gemietet und die ganze Familie wieder zusammen gebracht.

Auf jeden Fall musste sie wieder mal eine Zeit dort verbringen und wir hatten vereinbart, dass wir uns im Februar wieder in Goa treffen würden. Auf dem Weg hierher nach Goa sollte sie nach einer Zwischen-Landung in Mumbai aufs Konsulat gehen, um sich dort das nächste Visum für Deutschland abzuholen. Deutschland hatte ihr so gut gefallen, dass sie angefangen hat Deutsch zu lernen, mit einer Fernlernkassette vom Goethe-Institut. Nach sechs Wochen konnte sie schon einfache Sätze sprechen. Sie spricht neben der Hochsprache in Bhutan auch perfekt Nepali, Hindi, ein sehr gutes Englisch, und Deutsch fiel ihr auch nicht schwer.

Ich hatte also zwei Monate in Goa verbracht und darauf gewartet, dass sie kommt, das Schengen-Visa sollte in zwei Tagen in Mumbai erledigt sein. Dann wollten wir noch eine Zeit gemeinsam verbringen, die eine oder andere Tour mitmachen und im Mai wieder nach Deutschland.

Und dann ist der große Knall passiert: Am Tag, als sie in Mumbai angekommen ist, hatte sie wohl einen Nerven- und Kreislaufzusammenbruch. Sie ist umgekippt. Sie hat versucht mich anzurufen, ich hatte aber mein Mobiltelefon im Zimmer liegen und war mit Gästen unterwegs gewesen und hatte das erst am späten Abend mitgekriegt. Ich habe sie dann versucht zu erreichen, was mir nicht gelang, da sie in einem kleinen privaten Hospital war. Nachts schickte sie mir ein SMS, dass für sie die Beziehung zu Ende sei, dass sie nicht mehr mit mir leben will und dass sie am nächsten Tag zurück nach Bhutan fliege. Sie brauche auch kein Schengenvisum, da sie auf mein „Jet-Set-Leben“ keine Lust mehr habe. Sie wolle wieder in ihrem Land leben mit ihren Leuten, so wie sie es kennt und das andere Leben geht nicht mehr. Punkt.

Ich fiel aus allen Wolken. Das war für mich ein großer Schock. Es hat mich völlig unvorbereitet getroffen. Ich habe mittlerweile verstanden, dass unsere Beziehung für jeden eine andere Gewichtigkeit hatte. Sie hat mich schon als ihren Partner gesehen, aber sie war 20 Jahre jünger. Materielle Interessen haben mit Sicherheit eine sehr große Rolle gespielt. Sie war ohne vernünftige Ausbildung, ohne geregeltes Einkommen. Sie lebte von der Hand in den Mund, was viele Leute in Bhutan tun. Das Leben dort ist noch billiger als in Indien.

Sie hat durch mich eine andere Welt kennengelernt und ich war in der Lage, sie und ihre Familie zu unterstützen. Ich war der große Onkel, der für alle und für alles bezahlt. Was für mich letztlich kein Problem war, ich teile gerne. Wenn ich habe, kann ich auch abgeben. Ich glaube immer noch an ein gutes Karma und dafür muss man auch etwas tun. Von ihrer Seite aus, war es nicht die große romantische Liebesbeziehung. Wir hatten im ersten Jahr ein sehr aufregendes Sexleben, mit viel Spaß, viel Ausprobieren, wobei ich mir jetzt nicht mehr so sicher bin, ob sie es für mich getan hat oder ob es ihr wirklich auch gefallen hat. Sie stand in meinem Lebensplan an erster Stelle, sie war die Wichtigste, aber sie war nicht die Einzige, ich hatte trotzdem noch andere Affären.

Das lief auch gut nebeneinander her. Für mich war wichtig, dass ich ihr gegenüber fast unbegrenztes Vertrauen hatte. Dieses Vertrauen ist in dem Moment, wo diese Geschichte passierte, verschwunden. Das war ein knock out! Ich habe einige Wochen gebraucht damit klar zu kommen. Sie hat erst einmal jede Kommunikation verweigert. Ich habe also nicht gewusst, was dahintersteckt. Ich habe zwar Vermutungen gehabt, es aber nicht wirklich gewusst. Ich war so von der Rolle, dass ich die nächste Bhutantour abgesagt habe. Ich habe erst mal meine Wunden geleckt.

Wie gesagt, sie war diese einzige Nacht im Hospital, dann ist sie am nächsten Tag nach Bhutan zurück geflogen und vorerst gab es keinen Kontakt. Sie hat die Telefonnummer gewechselt, E-Mails nicht beantwortet. Irgendwann habe ich es auch sein gelassen mit ihr in Kontakt zu kommen. Ich sagte mir: ‚Stell dich der Realität und versuche damit klar zu kommen.‘ Ich bin nach Deutschland, wollte zu einer langjährigen Freundin, ich nenne sie hier mal die Karnevalsprinzessin. Die hatte mir aber gleich erzählt, dass sie gerade den Mann ihres Lebens getroffen hat und heiraten will. Ich war plötzlich wieder ganz alleine. Ich war nicht mal in der Lage eine Affäre anzufangen. Ich bin dann von Deutschland nach Ladakh und musste den ganzen Sommer Motorrad-Touren durchziehen.

Im Oktober hatte ich zwei wichtige Touren in Bhutan, die ich nicht delegieren konnte und wollte. Ich komme am ersten Tag abends in Bhutan an, sitze in meinem Lieblingshotel, dem „Gangtey Palace“ in Paro, da ich noch zwei Tage extra zum Relaxen eingeplant hatte, bevor meine Gruppe ankam. Ich sitze also in meinem Zimmer, es klopft und wer steht vor der Tür? Y. mit einer Freundin. Will mit mir reden. Ich hatte aus dem Duty Free eine Flasche Jameson dabei, die habe ich auf den Tisch gestellt. Und dann haben wir zu dritt die Flasche auch getrunken. Und dabei hat eigentlich mehr ihre Freundin als sie selber, die ganze Geschichte erzählt. Dass sie im Winter eine Affäre mit einem Masseur aus Kambodscha hatte, der im gleichen 5 Sterne Hotel gearbeitet hat, in dem sie früher tätig war. Und der hat sie gleich geschwängert. Als sie auf dem Weg nach Goa war, hatte sie gerade abgetrieben oder doch nicht, das wurde nicht so klar. Jedenfalls hat sie der Typ, der sie geschwängert hat, sitzen gelassen.

Dann ist ihr bewusst geworden, dass sie vor mir diese Geschichte nicht verheimlichen kann. Je näher sie an Goa kam, desto mehr wurde ihr klar, dass das einen dicken Knall gibt. Sie hatte richtig Angst gehabt vor meiner Reaktion. Deshalb auch der Zusammenbruch. Der Abend im Hotel ging so zu Ende, dass wir alle viel getrunken haben, sie mich dann wörtlich auf Knien angefleht hatte, sie doch zurück zu nehmen, ihr noch eine zweite Chance zu geben. Ich sagte: ‚Nein, auf keinen Fall, ich bin da jetzt durch und für mich ist das Thema erledigt.‘ Ich habe die beiden rausgeschmissen. Was ich nicht wusste, dass sich Y. an diesem Tag ein Auto geliehen hatte, und von dort wo ich wohnte, ging es ziemlich steil den Berg hoch. Y. hatte aber gar keinen Führerschein und keine Fahrerfahrung und war zudem noch betrunken.

Auf dem Weg hinunter in die Stadt kam sie von der Straße ab und ist mit dem Auto in eine Schlucht gestürzt. Das Auto war Schrott und sie kam ins Krankenhaus. Sie hatte sich beide Unterarme gebrochen und rief mich am nächsten Tag aus dem Hospital an. Mein Kommentar: ‚Ich geh nicht in Krankenhäuser. Da werde ich krank.‘ Was sie gemacht hat, ist ihr Karma und damit muss sie alleine klar kommen. Ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ich habe ihr noch mitgeteilt, dass sie alles, was sie von mir noch hatte, behalten könne. Dann bin ich auf die zwei Touren gegangen. Die ziemlich wild waren, da ich doch aufgewühlt war. Als die zweite Tour zu Ende ging, habe ich sie noch einmal gesehen. Beide Arme in Gips.

Ich kam nach Goa und habe den Winter hier verbracht, merkte aber, dass mir was fehlt, dass ich doch mehr mit Y. verbunden bin, als ich mir das eingestehen wollte, dass da eine Lücke ist, die nicht so leicht gefüllt werden kann. Ich unternahm erst mal eine Thailandtour, da bestehen ja viele Möglichkeiten sich abzulenken. Aber das hat alles nicht funktioniert. Ich habe gemerkt, dass ist nicht das, was ich will. In dieser Zeit ist mir klar geworden, dass ich doch versuchen sollte, die Geschichte zu verarbeiten, ihr zu verzeihen und einen Neuanfang zu versuchen. Ich habe sie angerufen und ihr vorgeschlagen, uns in Kathmandu zu treffen, ich noch einmal mit ihr reden will.

Wir haben uns also getroffen und ich habe mich mit ihr soweit ausgesprochen, dass ich ihr vorschlug, es noch einmal zusammen zu versuchen. Ich hatte mit ihr vereinbart, wir probieren ein Jahr miteinander aus und dann sehen wir, ob wir wieder eine tragfähige Beziehung hinkriegen oder eben nicht. Wir waren dann das ganze Frühjahr über zusammen, ich fuhr alleine nach Deutschland und dann fing die Ladakh-Saison wieder an bei der sie eigentlich dabei sein sollte, sie musste aber nach Bhutan zurück. Ihr Ex-Ehemann war nach Bhutan versetzt worden. Der hat dort sofort wieder angefangen zu saufen. Innerhalb von sechs Wochen hat er es geschafft, sich tot zu trinken. Nun standen die drei Kinder ohne Vater da. Die zweite, jüngere Exfrau wollte die Kinder nicht haben. Plötzlich musste Y. sich wieder darum kümmern. Das hat die Situation völlig verändert, denn als Mutter von drei Schul-Kindern kann man nicht monatelang im Ausland sein.

Eine Zeit lang ging das gut. Die jüngere Schwester von Y. sowie die Mutter, die dann erst mal keine so langen Pilgerreisen mehr unternahm, kümmerten sich abwechselnd um die Kinder. Y. konnte dann mal für sechs Wochen weg aber es war völlig klar, sie war nicht mehr so frei wie früher. Früher hatte sie ihre Kinder immer in Delhi getroffen, denn all unsere Touren kommen immer durch Delhi. Wir haben trotzdem noch sehr schöne gemeinsame Touren gemacht und im März 2012 war das eine Jahr rum. Wir haben beide für uns festgestellt, dass unsere Beziehung immer noch eine sehr gute war, aber nicht mehr die gleiche wie vorher. Dieses bedingungslose Vertrauen, das ich mal in sie hatte, hat sich nie mehr eingestellt. Meine Beziehung zu ihr hatte Risse bekommen. Ich musste immer damit rechnen, dass sich etwas bei ihr ändert. Die Geschichte mit der Heirat war für mich damit aus der Welt.

Ich würde niemals meine Existenz von ihr abhängig machen wollen, um in Bhutan zu leben. Nach diesem Jahr sind wir an den Punkt angelangt, an dem wir uns gesagt haben, wir bleiben weiterhin Partner, reisen weiter zusammen, ich finanziere weiter ihre Familie und wir lassen das jetzt erst einmal so weiterlaufen. Was sich jedoch nie wieder eingerenkt hat, war unsere sexuelle Beziehung. Wir haben es versucht, aber es hat nicht funktioniert. Ich bin nicht mit der Vorstellung klar gekommen, dass sie zwischendurch mit einem anderen Mann zusammen war, der sie auch noch geschwängert hatte. Bei allem Vergeben und Vergessen, das stand immer zwischen uns. Es war für mich nicht mehr leb-bar. Das war die Situation im letzten Frühjahr und wie es weiter geht…, da machen wir in ein paar Tagen weiter.


Zweite Interview Session : Eine Woche später waren die Schürfwunden fast alle verheilt, aber sie waren an manchen Stellen gar nicht mehr zu sehen, das Veilchen war auch weg.

Die letzte Entwicklung zwischen Y. und mir ist, dass ich mich entschieden habe, auch die Zahlungen in absehbarer Zukunft einzustellen. Ich bin an dem Punkt angekommen, wo mir klar wurde, dass die Beziehung nicht mehr zu leben ist und dass es für uns keine gemeinsame Zukunft gibt. Y. hat sich wieder komplett in Bhutan in ihr Familienleben integriert, neben ihren eigenen Kindern hat sie auch noch vier aus der Verwandtschaft aufgenommen und sie ist glücklich als Mutter und Erzieherin. Diese Beziehung jetzt irgendwie künstlich am Leben zu erhalten, bringt nichts und auf der anderen Seite verspüre ich keine Lust mehr, den großen Finanzier zu spielen. Ich hatte ihr schon zu verstehen gegeben, dass das irgendwann ausläuft denn bei ihr war nicht zu erkennen, dass sie irgendwelche Anstalten machte, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie hat zwar angefangen mir zu erzählen sie plane eine Boutique zu eröffnen, ein Restaurant, dies und das jedoch alles ohne Hand und Fuß. Und ich sollte das immer finanzieren.

Nun habe ich mich rausgezogen und der Anlass war, dass ihr Sohn gerade die 12. Klasse abgeschlossen hat, aber nicht genug Punkte gemacht hat, um sich für das College zu qualifizieren. Da rief sie mich an, ob ich nicht bereit wäre, für ihn ein privates College in Indien zu finanzieren. Da spürte ich, jetzt ist ein Punkt erreicht, wo meine mitfühlende Anteilnahme nicht mehr ausreicht, diesen ganzen Quatsch mitzumachen. Der Junge hat einfach keinen Bock zu lernen, der ist stinkfaul, lässt sich von der Mutter bzw. von mir durchziehen, macht mit Drogen rum, Alkohol, Zigaretten und Mädels und will das jetzt mit den reichen Kids in Indien tun, alles von mir finanziert. Ich habe ihr gestern geschrieben, dass es damit genug wäre und das war es dann auch. Jetzt ist klar, sie geht ihren Weg und ich den meinen. Es kommt hinzu, dass ich mich jetzt hier in Goa aus meiner selbst gewählten Einsamkeit herausschäle. Ich hatte diesen Winter sehr schöne Affären. Es ist keineswegs so, dass der Zug abgefahren ist und mein Sexualleben nur noch in der Vergangenheit spielt, im Gegenteil, ich bin im Moment richtig gut drauf.

Das hängt auch mit Sachen zusammen, die ich jetzt erzählen werde. Das fing an vor zwei Jahren, nachdem Y. und ich uns das erste Mal richtig getrennt hatten. Ich habe mich bin in mein Lieblingsdorf ins Kullutal im indischen Himalaya zurückgezogen. Dort habe ich bei Freunden eine Panchakarmakur gemacht. Eine Entgiftungskur über vier Wochen hinweg. Zusammen mit Wanderungen, Spaziergängen, Trecking, Yoga, strenger Diät und hat das Wunder gewirkt. Kurz vor meiner Abreise treffe ich einen alten italienischen Kollegen. Wir waren nie richtige Freunde, kannten uns aber schon lange. Eris, ein Baumeister. Er baut Häuser im traditionellen Stil, so wie früher im Himalaya gebaut worden ist mit Holz und Stein, ohne Beton, ohne Plastik. Dieser Baustil heißt Kath Kuni. In Deutschland würde man Fachwerk dazu sagen.

Er hat auch für andere Leute solche Häuser gebaut, zusammen wohl über 100 wunderschöne Häuser. Meistens für wohlhabende Einheimische, die sonst niemanden mehr fanden, der solche Häuser bauen kann. Eris hatte eine Crew von Leuten. Die besten Häuser hat er für sich selber gebaut. Er hat sich dafür einen wunderschönen Platz im Kullutal ausgesucht. Mitten im Wald gelegen, nicht leicht zu erreichen. Einfach phantastisch, nach Süden hin offen auf einem Plateau gelegen. Man hat Morgen- und Abendsonne. Mit dem Blick runter kann man 700 Meter tiefer den Beas-Fluss sehen. Und nach oben hin sieht man die 3000 Meter hohen Bergspitzen.

Er lud mich zum Essen ein, ich wollte mir das schon immer mal ansehen. Bei Pasta und Rotwein erzählte er mir, dass er das phantastische Anwesen verkaufen wolle. Ich war von den Socken. ‚Das kann nicht sein‘, dachte ich mir. So ein Juwel verkauft man nicht. So etwas habe ich 15 Jahre gesucht. Wir sind uns schnell einig geworden. Er wollte nach 30 Jahren Indien wieder zurück nach Italien. Er hatte sich da schon eine alte Burg des Templerordens ausgesucht und wollte diese restaurieren. Mein bester Freund Vinod hat mir geholfen, das Haus zu kaufen, denn als Nicht-Himachali darf man kein Land und kein Haus im Unionsstaat Himachal Pradesh erwerben.

Ob Ausländer oder Inder spielt keine Rolle. Da braucht man einen wirklich guten Freund, eine Familie die standhaft ist und Einfluss hat. Die ganze Familie hat mir geholfen und zwei Monate später waren die Verträge unterzeichnet. Eris hatte das Anwesen auf den Namen eines Lamas aus Spiti registriert, den mussten wir erst mal aufsuchen. Der wollte eine kleine Spende haben und im Januar war ich schon Eigentümer. Ich hatte mich mit Vinod auch abgesichert, insofern als ich ihn in meine Firma als „Managing-Director“ mit reingenommen habe. Das ist meine „Bike Touren“- Firma, mit der ich auch jetzt ganz von Goa nach Himachal Pradesh umziehen werde. Die Firma hat das Haus und den Grund für 99 Jahre gepachtet und der Vertrag ist unkündbar. Ist meine Firma erst mal im Himachal ansäßig, wird aus dem Pachtvertrag ein Kaufvertrag gemacht. Vinod macht das gerne, er betreibt eine kleine Reiseagentur, in seinem Familienhaus sind ein paar Gästecottages, die Familie betreibt ein Hotel und eine Ayurveda-Klinik. Mein Lebensmittelpunkt wird ab jetzt im Kullu Valley in Himachal Pradesh sein.

Der weitere Plan sieht vor, dass ich mein Resort in Goa verkaufen will. Ich bin schon lange nicht mehr richtig zu Hause in Goa. Jetzt muss ich nur noch meine Verbindung mit Goa beenden. Mein Resort ist so gut aufgestellt, dass ich es jederzeit verkaufen kann. 2014 spätestens 2015 will ich mich ganz aus Goa zurückziehen.

Du hast also ein neues Zuhause gefunden?

Ja, ich habe schon im ersten Interview vor sechs Jahren gesagt, dass ich mich für den Rest meines Lebens am liebsten im Kullutal sehe. Ich habe mich dort von Anfang an sehr wohl gefühlt. Ich spürte, das ist genau mein Platz, mein Energiefeld. Die „Mountain People“ sind vom Charakter her völlig anders als hier an der Küste. Ich bin selbst Sauerländer, komme aus den Bergen, auch wenn es auch nur Hügel sind.

Ich fühle mich viel wohler mit Menschen, die aus den Bergen kommen. Im Jahr 2012 hat sich das wunderbar weiterentwickelt. Es wurde dann schon mächtig gebaut, ein Garten ist angelegt, wir haben eine Terrasse angelegt, Steinmauern gebaut und es kam noch ein Gästehaus dazu. Nun lebe ich da oben aber nicht alleine. Einen Teil der Anlage, die Eris da oben gebaut hat, hat er vorher verkauft an einen Geschäftsmann aus Neu-Delhi. Der hat familiäre Beziehungen in den Staat Himachal, die es ihm ermöglichten Land zu kaufen. Dieser Geschäftsmann Vivek S. hat wirtschaftlich und geschäftsmäßig nicht viel drauf, spielt aber gerne den großen Mann.

Er gibt mächtig damit an, was er noch alles vor hat und was er bereits ist. So ein kleiner „Vorstadtmacho“ aus Delhi halt. Der hat einen Partner, dem eine ganze Kette von Resorts gehört, und dieser Raja O. ist kein Himachali und kommt aus Bihar. Er kann deshalb nichts selber kaufen und hat deshalb den Kauf des 2. Gehöfts von Eris für Vivek S. finanziert. Das soll wohl ein richtiges Hotel werden und die beiden hatten fest darauf spekuliert, dass sie das Haus, das ich jetzt gekauft habe, auch noch kriegen. Allerdings haben sie Eris bei dem vorherigen Verkauf schlecht behandelt. Die haben sich wie normale Inder verhalten: Alles versprechen und am Ende nichts halten. Eris war dann so sauer, dass er gesagt hat: ‚Euch verkaufe ich nichts mehr.‘ Dann kam der Moment, wo ich reingesprungen bin. Plötzlich war ich der neue Eigentümer des schönsten Hauses dieser Anlage.

Es ist das Herzstück. Die Straße ist so gebaut, dass sie an mir vorbei müssen und das stinkt denen ganz gewaltig. Und ich lasse mich auch nicht rauskaufen. Ich plane, eventuell den ganzen freien Platz unter den Apfelbäumen auch zu entwickeln. Das hat dazu geführt, dass meine Nachbarn immer saurer wurden. Anfangs haben wir uns noch unterhalten und gegenseitig eingeladen, dann kam der Punkt, wo mein Nachbar versuchte mich unter Druck zu setzen. Das ist ihm auch ganz gut gelungen, weil wir entschieden haben, dass ein großer Baum, der dicht an unserem Grundstück steht, der in der Mitte gespalten war und beim nächsten Sturm drohte umzustürzen, zu fällen. Vinod hatte dazu Kontakt zum Forstbüro aufgenommen. Der Handel lautete: ‚Ihr fällt den Baum und das ist illegal, alles andere dauert zu lange, ihr zahlt also eine kleine Strafe und dann könnt ihr uns sogar noch das Holz abkaufen.‘ Womit wir nicht gerechnet hatten, am Tag als der Baum gefällt wurde, hat der Manager unseres Nachbarn davon Wind bekommen, und hat gleich versucht Theater zu machen.

Er hat die Forstbehörde angerufen. Die sagten: ‚Ja, wissen wir, es ist einer von unseren Leuten dabei.‘ Dann rief er die oberste Forstbehörde an, hat denen eine wilde Geschichte geschildert vom Fällen mehrerer Bäume, dem illegalen Klauen von Holz. Die telefonierten mit der Behörde vor Ort und sagten: ‚Alles klar, es handelt sich um einen Baum, der gefällt werden sollte.‘ Da haben sie auch nichts erreicht. Dann rief er die höchste Polizeistelle an. Plötzlich haben die eine Anzeige bei der Polizei gemacht, dass ich illegal einen Baum gefällt hätte. Sie haben erschwerend hinzugefügt, ich hätte das Holz auch noch geklaut. Das ist ein Straftatbestand. Die Polizei muss einen dazu erst mal in Untersuchungshaft nehmen. Der Richter entscheidet dann, ob man gegen Kaution freigelassen wird.

Die Polizei kam und sagte: „Wir haben Druck von oben gekriegt und müssen ermitteln.‘ Wir haben Gegendruck erzeugt und haben auch unsere Leute aufgerufen. Dann wurde eine Woche ermittelt, zum Schluss war der Druck so hoch, dass der höchste Polizeichef angeordnet hat, dass wir in Untersuchungshaft müssen. Da der Besuch des höchsten Polizeichefs drohte, mussten wir eine Nacht im Gefängnis verbringen. Vorher hatten wir gegessen, getrunken und die Zelle hatten sie schön sauber gemacht und mit Bettzeug versehen. Der Richter hat sich die dünne Akte durchgesehen und erklärt, dass wir deswegen nicht ins Gefängnis müssen, aber eine Kaution musste hinterlegt werden. Danach kamen wir gleich raus. Wenn so ein Strafverfahren erst mal in Indien läuft, ist das eine böse Sache. Das kann Jahre dauern. Ich musste meinen Pass abgeben und die Polizei gab ihn auch nicht wieder raus.

Erst unser zweiter Anwalt, Sunny Singh Rana, erreichte das. Allerdings mit der Auflage, dass ich bei Verlassen des Landes eine Genehmigung einholen muss. Das ist aufwendig. Man muss persönlich erscheinen zur Verhandlung über jeden Reise-Antrag, man weiß nicht, wann man drankommt, weil am selben Tag wie immer mindestens 30 Verfahren verhandelt werden. Vielleicht kommt man auch nicht dran, dann heißt es am nächsten Tag wieder erscheinen. So eine kleine Geschichte kann sich Wochen hinziehen. Wegen der Rückgabe meines Reisepasses musste ich in einer Woche dreimal antanzen und das drei Wochen lang, ohne dass sich der Richter schlussendlich mit mir unterhalten hätte. Im Mai ist jetzt die Eröffnung des eigentlichen Verfahrens wegen des Baums. Es kann durchaus sein, dass das Verfahren irgendwann eingestellt wird, aber es zieht sich sicher erst einmal noch hin. Unser Anwalt sagt, wir sollen uns auf eine Prozessdauer von mindestens 2 Jahren einstellen. Es bleibt also spannend.

Mein Nachbar hat sich mit dieser Aktion sehr viele Feinde gemacht. Genauso wie ich mir in dieser Zeit viel Freunde gemacht habe. Durch so eine Geschichte wird man bekannt und die Solidarität der Einheimischen ist hundert Prozent auf meiner Seite. Die können Leute, die aus Delhi kommen und so einen Stunk machen, nicht leiden. Ich glaube, das könnte noch ein Nachspiel haben, womit ich dann allerdings nichts mehr zu tun haben werde. Das ist nicht mein Karma. Ich habe mich lediglich damit beschäftigt, was eigentlich mein Nachbar so macht. Er ist im Verein der Gandhi-Fellowship.

Eine Stiftung, die aus Studenten bessere Menschen machen will, eine Arte neue Führungskaste. Die haben Unterkünfte und halten dort Schulungen ab. Da sind hauptsächlich Mädels. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob das Ganze überhaupt ein vernünftiges Projekt ist. Ich vermute, dass mein Nachbar das Resort auch deshalb haben wollte, um ungestört mit den Teenagern „experimentieren“ zu können. Die hatten schon Gruppen hier, haben dann sogar ihr Personal weggeschickt, wenn Mädchen da waren. Keiner sollte mitbekommen, was da abgeht. Jetzt hocke ich aber direkt daneben. Der kann also nichts tun, was ich nicht sehe, wenn ich es sehen will. Mein Nachbar hat das als Gewerbe nicht als Hotel angemeldet, sondern steuersparend als „Homestay“ , quasi als Privathaus mit Zimmervermietung. Als Privathaus darfst du keine Gruppen beherbergen. Man darf maximal zwei Zimmer haben und muss selber dort wohnen und sie untervermieten an Touristen. Was er macht, ist ein Hotelbetrieb mit fünf Einheiten. Aber das ist nicht mein Problem.

Ich war dann gezwungenermaßen den ganzen letzten Herbst vor Ort auf meiner Farm im Kullu-Valley. Und ich war auch gezwungen, meine Motorradtouren in Nepal und Bhutan zu delegieren. Ich habe gemerkt, dass es möglich ist. Ich musste mich anstrengen, dafür Leute zu finden, aber am Ende hat es wunderbar geklappt.

Ich war dann das erste Mal seit drei Jahren drei Monate an einem Ort ohne tägliches oder wöchentliches Kofferpacken. Das war mein Lebensgefühl, das ich jahrelang genossen habe, aber über die vielen Jahre zehrt es einen sehr aus.. Und jetzt bin ich wieder drei Monate am Stück an einem Ort, diesmal in Goa und auch das ist wunderschön. Ich habe inzwischen ein wunderbares Team hier in Goa in meinem kleinen Resort, dem „Casa Tres Amigos“. Wir haben noch nie so harmonisch zusammen gearbeitet. Der Laden läuft gut, die Gäste sind zufrieden. Darum bin ich im Moment auch etwas am Schwanken, ob ich so schnell verkaufen soll, weil es mir so gut geht hier.

Du nimmst also die Motorradwerkstatt mit ins Kullutal?

Ja. Wir haben sowieso in Delhi eine Werkstatt und ein Lager. Das ist der Punkt, von wo aus wir die Bikes zu den einzelnen Touren verschieben. Nach Ladakh, nach Spiti, nach Nepal, nach Bhutan, nach Rajasthan.

Goa ist unser Winterdomizil, aber die meisten Touren gehen von Delhi aus. Wir haben auch einen großen Lkw, da können wir 18 Bikes draufladen. Das ist wie ein Zirkus, je nachdem wo die Touren sind, da geht es hin. Im Kullutal hatte ich schon immer eine Werkstatt mit einer Stellfläche für 15 Bikes. Denn viele Touren haben wir dort starten lassen.

Geht dein Personal auch mit?

Zum Teil. Ich habe schon letztes Jahr, als mir klar war, dass ich verkaufen will, dem Personal mitgeteilt, dass ich in ein paar Jahren Goa verlassen werde um in den Himalaya zu ziehen. Ein Teil meines Personals kommt ja von dort oben, die gehen auf jeden Fall mit. Die Leute mit goanischen Wurzeln bleiben wohl hier. Egal wer das Gästehaus kauft, der wäre dumm, würde er nicht das Kernpersonal mitnehmen.

Nun schweift mein Blick über die Bilder hinweg, die an der Wand seines Büros hängen. Alles Himalaya-Motive eines berühmten russischen Malers, der sich später in Naggar (Kullutal) niedergelassen hat.

Die Nicholas Roerich-Bilder hängen ja schon hier?

Ich habe auch die Temperatur mitgebracht, mit einer gut funktionierenden AC. Über 25 Grad ist es mir zu warm zum Arbeiten im Büro. Die drei Monate im Winter sind schön in Goa, dass Klima ist klasse, aber danach wird es schnell sehr schwül und sehr heiß. Da brauche ich dann schon die Hälfte meiner Energie, um das Klima überhaupt auszuhalten.

Ist es schwierig eine Immobilie in Indien zu verkaufen?

Eine Immobilie in Indien zu verkaufen kann schwierig werden, speziell wenn sie viel kostet, das können sich dann nur sehr reiche Inder leisten und die sind schlitzohrig. Da muss man sehr vorsichtig vorgehen. Wir hatten schon zwei Interessenten, da sagte mein Steuerberater: ‚Verkauf denen das Anwesen nicht. Die bescheißen dich.‘

Es geht da um allerlei Zahlungen verschiedenster Art. Es geht auch um Vertrauen und das ist das große Problem. Interessenten zu finden ist nicht so schwierig. Assagao ist eine der heißesten Adressen im Immobilienmarkt von Goa. Es gibt so viele wohlhabende Inder, die sich einkaufen wollen. Das halbe Dorf gehört mittlerweile schon Leuten aus Delhi, Bangalore und Mumbai. Es gehört Ministern, Industriellen, Leuten aus der Kultur, der Bollywoodszene. Das ist ein richtiges VIP-Dorf geworden.

Wenn ich das Anwesen, das Resort verkaufe, muss ich nicht mehr arbeiten in diesem Leben. Da mach ich nur noch, wozu ich Lust habe. Und damit kommen wir zum letzten Teil meiner Geschichte der letzten Jahre. Ich habe ein neues Projekt, an dem ich intensiv arbeite. Ich war ja mit Y. kurz davor, mich in Bhutan niederzulassen, anstatt in dem Kullutal. In Bhutan kann man als Ausländer heiraten, man kann investieren, Geschäfte eröffnen, ein Haus kaufen, aber als Ausländer kann man nie Eigentümer sein. Selbst wenn die Ehefrau stirbt, würde das Eigentum an ihre Familie fallen.

Niemals also an mich. Ich wäre dort immer mittellos geblieben. Als die Heirat kein Thema mehr war, bin ich bei den Überlegungen, wie man das umgehen könnte, auf einen völlig anderen Gedanken gekommen. Die jungen Leute, die über den Tellerrand von Bhutan gucken, würden gerne mal ins Ausland gehen, um dort zu lernen, um dort zu arbeiten, um Erfahrungen zu sammeln und viele würden gerne nach Deutschland gehen. Dazu muss man im Fall Deutschland erst mal Deutsch können. Und das kann man in Bhutan nicht lernen. Junge Bhutanesen, die Deutsch lernen wollen, wie das auch meine Freundin wollte, die müssen nach Indien, Thailand oder Nepal, um dort im Goethe-Institut Kurse zu belegen.

Jetzt bin ich auf die Idee gekommen: Warum nicht ein deutsches Sprachinstitut oder Kulturinstitut in Bhutan eröffnen?

Diese Idee spukt nun seit zwei Jahren in meinem Kopf rum. Sie wird immer konkreter. Nächste Woche treffe ich den Chef der Goethe-Institute von Südasien, dem habe ich kurz erklärt, was ich vorhabe und die zeigen sich sehr interessiert. Die Goethe-Institute sind mittlerweile in ihrem finanziellen Spielraum so eingeschränkt, dass sie gar keine Institute mehr aufbauen, sondern nur noch als Franchisegeber mit lokalen Vereinen oder Stiftungen zusammen arbeiten, die das Kulturinstitut auf eigene Kosten führen. Die Goethe-Institute wählen Lehrer aus, stellen das Lernmaterial und nehmen die Prüfung ab. Darauf wird es hinauslaufen. Ich kenne mittlerweile auch Botschaftsangehörige, dank meines Baumfällverfahrens.

Natürlich hätten die auch gerne jemand in Bhutan, der die Deutsche Kultur vermitteln kann. Alle Bhutanesen, die von Deutschland etwas wollen müssen nach Delhi. Es gibt zwei private Vereine, Bhutan-Hilfe und Pro-Bhutan, die leisten private Entwicklungshilfe, staatliche Entwicklungshilfe gibt es nicht. Es passiert zwischen Deutschland und Bhutan momentan so viel wie nichts. Sollte sich dagegen privat etwas tun, kann man mit Unterstützung rechnen.

Ich habe mein Projekt schon mal in Bhutan vorgestellt. Ich bin da ja Mitglied im einzigen Motorradclub, den Bhutan-Dragons, die inzwischen 50 Mitglieder haben. Alle, die Motorräder haben, gehören der überschaubaren Oberschicht an. Denen habe ich von meinem Stiftungs-Projekt erzählt, und die unterstützen es. Über die Sprachkurse hinaus wollen wir auch deutsche Kultur vermitteln, eine Bibliothek, ein kleines Kino, eine Bäckerei, eine Brauerei. Neben den Sprachkursen möchte ich den Einheimischen auch eine Ausbildung ermöglichen. Ich habe sehr viele Kontakte in Deutschland zu Leuten in der Industrie und dem Handwerk. Wir kennen viele von den Motorradtouren her. Wenn ich da einigen das Projekt vorstelle, werden auch die das mit Sicherheit unterstützen sowohl finanziell als auch Studenten aus Bhutan anbieten, eine Ausbildung zu bekommen und Berufserfahrungen zu sammeln.

In Bhutan findet in den drei größeren Städten das ganze kulturelle Leben statt. Das Land ist so groß wie die Schweiz und darin leben rund 700.000 Menschen. In der Hauptstadt Thimphu leben 70.000, 40.000 in der westlichen Grenzstadt Phuentsoling und 30.000 im Großraum Paro, wo der einzige Flughafen liegt. Es gibt ein gutes College, eine gute Universität und die ganze Oberschicht kennt sich.

Über diesen Kreis hinaus kenne ich in Bhutan eine Reihe von jungen Leuten, die so eine Chance sofort annehmen würden. Es sind etliche Leute bereit, sich akademisch ausbilden zu lassen, aber es gibt kaum Arbeit. Es gibt etwas im Tourismus, in der Verwaltung und das war es dann schon. Es gibt Leute, die würden gerne einen technischen oder wirtschaftlichen Beruf erlernen. Diese wenigen gehen zur Zeit in englischsprachige Schulen. Die sprechen dort übrigens ziemlich gutes Englisch.

Warum soll man nicht ein bisschen Deutschland dort vertreten? Ein japanisches Sprach- und Kulturinstitut gibt es bereits. Die Frau, die das leitet, ist mit einem Bhutanesen verheiratet. Ihr Mann ist zweiter Präsident unseres Biker-Clubs. Von ihr erfahre ich, wie man so ein Institut aufbaut. Dann habe ich demnächst eine Audienz beim Bruder des Königs, der eine Harley Davidson fährt. Den kann ich vielleicht dazu bringen, die Schirmherrschaft der Stiftung zu übernehmen. Ich brauche jemand von ganz oben, der seine Hand da drüber hält.

Das ist ein tolles Projekt, dass du da vorhast.

Ja, und dafür brauche ich mehr oder weniger eine halbe Million Dollar. Das ist das Einstiegsgeld. Ein Schweizer Biker Bruder ist ein guter Architekt und in Bhutan verheiratet, er hat 30 Jahre Entwicklungsarbeit hinter sich und baut Brücken, Häuser und Schulen. Jetzt hat er die Ehrenstaatsbürgerschaft von Bhutan bekommen.

Der ist mein Freund will mir das Schul-Gebäude bauen. Ein anderer hat mir erzählt, er wüsste schon das Grundstück, wunderbar gelegen in der Nähe der Hauptstadt. Einen Sponsor für eine Brauerei habe ich, ein anderer will eine Heizungswerkstatt hinstellen. Die heizen in Bhutan mit Holz-Öfen oder Strom.

Über die Schulgelder werde ich kaum in der Lage sein, gute Lehrer zu bezahlen. Das ganze Projekt muss sich irgendwann selbst tragen. Und bei den Lehrern stelle ich mir das so vor, dass viele es als eine Chance ansehen, mal ein halbes Jahr in Bhutan zu sein. Ich bin mir sicher, dass wir genügend Lehrer finden, die für Kost und Unterkunft unterrichten würden.

 

Nachtrag, geschrieben nach der 3 wöchigen Bhutan Reise im April 2013 :

In Delhi hatte ich die Gelegenheit, einige informative und ausführliche Gespräche mit dem Leiter der Sprachausbildung / Südasien des Goethe Instituts, sowie leitenden Angestellten der Deutschen Botschaft zu führen. Beide Institutionen sind auch zuständig für Bhutan.

Danach wurde mir erstmals bewusst, was für ein bürokratischer Aufwand auf mich zukommen würde, falls ich mein kleines „Sprach-und Kulturinstitut in Bhutan“ mit der Unterstützung offizieller deutscher Stellen verwirklichen wollte.

Ebenso erfuhr ich, dass es bereits zwei „konkurrierende“ Bhutan Hilfe Vereine in Deutschland gibt, die beide den hehren Anspruch darauf erheben, die „wahren und guten Deutschen“ in Bhutan zu sein. Dort gibt es Personen mit großen Egos, die sich gerne auf diplomatischer und offizieller Ebene bewegen.

In Bhutan habe ich dann während meiner privaten dreiwöchigen Bhutanreise im April viele weitere Gespräche geführt; auch mit zwei Deutschen und zwei Schweizer Expats, die schon seit einiger Zeit in Bhutan leben, und auch mit einigen Bhutanesen, die Beziehungen zu Deutschland haben. Um es einmal in eine Perspektive zu bringen: Es gibt ziemlich genau vier Deutsche die zur Zeit in Bhutan leben. Vielleicht gibt es etwas mehr als 20 Bhutanesen, die Deutsch gelernt haben. Einige können es auch leidlich sprechen….

Was ich schnell gelernt habe ist folgendes, es gibt hier kaum ein Interesse an der deutschen Sprache, denn niemand braucht sie in Bhutan, es sei denn, er will in Deutschland oder mit einer/einem Deutschen zusammen leben.

Alle deutschen Touristen die nach Bhutan kommen sprechen oder verstehen zumindest ausreichend Reise-Englisch, so daß deutsch sprechende Reiseleiter kaum gefragt sind. Deutsche Firmen oder Industrie die Handel mit Buthan betreiben, gibt es praktisch gar nicht, und wenn dann wir alles in Englisch abgewickelt.

Im März hat in Thimpu eine private Sprachschule eröffnet, die Französisch, Chinesisch und Deutsch anbietet. Teilnehmer für den ersten drei Monate Kurs in Französisch gibt es 12, für Chinesisch 30, und für Deutsch gerade mal vier! Und das obwohl der Kurs (90min/täglich, sechs Tage die Woche, mit Schweizer Sprachlehrer) nur ca. 120 € / Monat kostet.

Man kann wohl annehmen, dass es für ein deutsches Sprachinstitut kaum Nachfrage geben wird.

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich zu dem Entschluss eines vorläufigen „Projekt-Planungs-Stopps“ gekommen bin..

Die Gründe dafür sind vielfältig. Der für mich wichtigste ist: Der Aufbau sowie die Installierung des von mir angestrebten Projektes würde speziell für mich bedeuten, dass ich sehr viel Verwaltungs- und Repräsentationsarbeit in der Hauptstadt von Bhutan, Thimpu, zu leisten hätte. Diese Stadt hat sich meines Erachtens in den letzten Jahren unglaublich schnell in eine negative Richtung entwickelt.

Es regiert das Konsum- und Verkehrschaos. Die Strassenkriminalität wächst, die Menschen werden aggressiver und immer unzufriedener, je mehr sie versuchen nach westlichem Vorbild zu leben. Bhutan ist kein friedliches Shangri-La. Es gibt Arbeitslosigkeit, Alkohol und Drogenprobleme, Gewalt und Slumbildung, speziell in der Hauptstadt und in der Handelsstadt an der indischen Grenze.

Bhutan ist immer noch ein Land mit überwiegend sehr gastfreundlichen Bewohnern, mit einer unvergleichlichen Himalaya Natur und Landschaft, und mit einer teif verwurzelten bhuddistischen Kultur. Aber die tiefe Ruhe und der Frieden gehen schneller verloren, als ich es noch vor 2-3 Jahren erwartet hatte. Die aufgesetzte Demokratisierung tut ein übriges. Korruption und Machtpolitik tritt mehr und mehr in Erscheinung. Die Zufriedenheit der Menschen nimmt spürbar ab.

Das war das jedenfalls im Wesentlichen das Fazit meiner letzten Reise.

Im nächsten Jahr wird deshalb erst mal nichts weiter passieren, ich werde auf den nächsten Bhutan Reisen im Herbst und kommenden Frühjahr weiter Erfahrungen sammeln, werde Kontakte pflegen, und die Idee mit dem „deutschen Haus“ köchelt weiterhin auf kleiner Flamme im Hinterkopf. Bald wird auch der erste deutsche Honorarkonsul in Bhutan ernannt und eingesetzt werden, ein sehr erfahrener und sympathischer Mann übrigens. Damit könnte eventuell auch die offizielle deutsche Entwicklungshilfe nach Bhutan zurückkommen. Im Moment gibt es nur einige zeitlich begrenzte Einsätze von German „Senior Experts“; auch eine wichtige Arbeit!

Ich erfuhr, dass auch bei der ´Indo-German-Chamber-of-Commerce` ein Interesse an einem Ausbildungs-Projekt in Bhutan besteht.

Vielleicht starten ja von dort aus bald einige gute deutsche Projekte für Bhutan. Es gibt zumindest gute Vorbilder:

Die Österreicher und vor allem die Schweizer sind schon viel aktiver in Bhutan, sowohl als Berater im Tourismus Management und bei der Ausbildung für Fachleute in Hotelberufen. Natürlich helfen sie auch in der Entwicklung einer modernen Landwirtschaft sowie bei den wichtigen Wasserkraft – Projekten.

Ich bleibe jedenfalls fürs die nächsten Jahre in meinem Farmhaus im Kullu Valley wohnen, wo ich mich mehr und mehr heimisch fühle.