CLASSIC BIKE PETER  – Am Anfang war die Enfield Bullet….

Interview mit RC Peter Paulo dos Santos | Part 1

Vorabdruch aus dem Buch INDIENFAHRER 4 – Begegnungen mit Austeigern, Abenteurern und Gottsuchern von Harald Hetzel
Interview mit Peter, im Januar 2006 aufgezeichnet im „Here & Now“ am Asvem Beach, Goa.

Wie bist Du nach Indien gekommen?

Mein erster Kontakt mit Indien fand 1986 über einen Busfahrerkollegen statt. Wir fuhren in 48 Stunden von West-Berlin nach Lissabon. Da hatten wir viel Zeit zum Reden. Der fuhr jeden Winter über Land nach Indien, immer mit dem gleichen Ziel – Goa. Er hat mir viel von Goa erzählt, vor allem von den klassischen Motorrädern, den Enfield Bullets. Das hat mich total fasziniert, zumal ich schon immer ein begeisterter Biker war. Ich kann mir gar nicht vorstellen, ohne Motorrad zu leben.

Meinem Freund Klaus bin ich dann 1988 nach Goa gefolgt. Ich bin damals mit einer Gruppe nach Indien geflogen, um eine Motorradexpedition zu machen. Wir wollten in drei Wochen Südindien erkunden. Klaus hatte über seine Connections schon ein paar Motorräder angemietet. Das war alles super-abenteuerlich, denn nichts hatte so geklappt wie geplant: Wir kamen an und fanden da ein paar absolute Schrottkarren vor. Schließlich sind wir mit fünf Bikes losgefahren. Ich werde nie vergessen, dass wir kaum nachdem wir die Grenze von Goa hinter uns gelassen hatten schon das erste Motorrad am Seil ziehen mussten. Eigentlich sind wir nur von Werkstatt zu Werkstatt gefahren. Wir hatten auch gar keine richtigen Karten oder Reiseführer dabei. Auf dieser ersten Tour hatte ich gute Freunde dabei, einer war ein berühmter Musiker, der Sänger von den ‚Ärzten‘. ‚Fahr in Urlaub‘ heißt der auch noch mit Künstlernamen…

Wie bist Du auf die Idee gekommen, eine Motorradtour zu organisieren?

Ich war auch vorher schon viel unterwegs gewesen. Einerseits auf Tourneen, ich hab mein Geld verdient als Tourneemanager und Busfahrer. Andererseits, wenn ich nicht auf Tournee war, erholte ich mich auf Zypern, dort hatte ich eine kleine Pension gepachtet, ganz im so genannten Wilden Westen. Ich hatte dort einen kleinen Motorrad- und Mountainbike-Verleih aufgebaut, das war so ein Non-Profit-Ding. Ich konnte damit gut auf Zypern leben, aber richtig Geld kam dabei nicht herein.

Wie hast Du dann den Sprung von Zypern nach Goa geschafft?

Der Winter in Zypern -immerhin drei Monate – war zu regnerisch. Für die Insel ist das natürlich sehr wichtig, für uns rein geschäftlich eher ein Desaster. Der Winter in Berlin war allerdings noch härter. Also kam die Idee auf, im Winter da hinzufahren, wo es wirklich warm ist. Goa, davon hab ich mich dann selbst überzeugt, ist immer warm. Am Anfang waren das rein hedonistische Gründe, es ging mir darum, Spaß zu haben, mich wohl zu fühlen und Motorrad fahren zu können im T-Shirt und ohne Helm. Im ersten Jahr, auf der besagten ersten Tour hatte ich auch einige Journalisten dabei um die Idee bekannt zu machen. So konnte ich eine lange Geschichte – zehn Seiten – in der größten deutschen Motorradzeitung unterbringen. Das hat so viel Interesse geweckt, dass die von der Zeitung gesagt haben: Mensch, kannst du diese Reise für unsere Leser organisieren?
Ich hab zugesagt, kaufte mit ein paar Freunden Motorräder und dann boten wir während drei Monaten ein paar Touren an. Aus dem Stand haben wir fünf Gruppen auf die Beine gebracht. Damit waren die Bikes finanziert.

Und das ging so einfach in Goa?

Das hat uns in Goa natürlich niemand zugetraut, niemand glaubte, dass das gehen würde. Wir hatten keine Firma, wir haben das sozusagen schwarz gemacht und einige Strohmänner genutzt. In Indien hab ich sehr schnell gespürt, dass die Mentalität der Inder genau mein Ding ist. Als wäre ich hier geboren, so fühlte ich mich. Ich hab mich hier schneller heimisch gefühlt als irgendwo in Europa, kam mit der Bakschisch- und der Improvisationsmentalität super gut klar. Die Inder haben die Gabe, aus dem Chaos heraus zu einem Ergebnis zu kommen das alle Seiten befriedigt. In Europa läuft immer alles zielgerichtet ab und weicht kaum von der einmal eingeschlagenen Spur ab: Das muss ich tun und daraus resultiert dieses Ergebnis. Die Abläufe in Indien muten zunächst einmal chaotisch an, man meint, sie bestehen ausschließlich aus spontanem Reagieren das komischer Weise immer zu einem Ergebnis führt. Das Leben im permanenten Chaos ist auch ein Leben in permanenter Kommunikation. In Indien gibt es für den, der Geld hat, fast keine Grenzen.

Wie bist Du mit den Aussteigern und/oder Hippies in Goa zu Recht gekommen?

Ich bin in Indien in eine Szene geraten, die sich seit den 70er Jahren entwickelt hat. Eine Art großer Bruderschaft von Leuten, die ein Hippie-Leben lebten, aber in Wirklichkeit Händler waren. Händler in alle möglichen Richtungen mit dem unterschiedlichsten Erfolg. Die Erfolgreichsten waren diejenigen, die sich mit Drogenhandel beschäftigt hatten. Die hatten in den größten Häusern gelebt, die schmissen die größten Partys, die pflegten den luxuriösesten Lebensstil. Immer alles im Rahmen von Hippie-Regeln mit grenzenloser Freiheit, mit Kommune, easy living auf fast allen Gebieten. War man in der Szene, bekam man mit, dass es immer um Deals, um Geschäfte ging.
Ich komme aus der Welt des Rockgeschäfts, des Musikgeschäfts, ich hatte mal in Berlin eine Musik-Bar, da ging’s immer auch um Drogen. Ich war immer auf der Verbraucherseite. Hier in Goa hatte ich es auf einmal mit den Großhändlern zu tun. Da ging’s um Erntezeiten in Kerala und im Himachal Pradesh, dann ging’s um Qualität, Transport. Ich dachte zuerst, die Indienfahrer sind ausschließlich Händler. Erst auf meinen Reisen durch Indien bin ich den spirituellen Indienfahrern, den Suchern begegnet, die man in Goa kaum trifft. Ich dachte auch, alle Weißen, die hier herumlaufen werden von den Einheimischen Hippies genannt und sind in Wirklichkeit Drogenhändler.
Ich hab bis vor kurzem in Goa fast ausschließlich Leute angetroffen, die sich meine Geschäftstätigkeiten anhörten und dann augenzwinkernd fragten, aber wie laufen die Deals denn so? Es geht nicht in den Kopf vieler Leute, dass man hier in Indien und besonders in Goa mit was anderem auch geschäftlich erfolgreich sein kann. Natürlich gibt es viele Drogenhändler. Sie organisieren sich auf dem Flohmarkt, aber ich hab das nie gewollt, nie gemacht, nebenbei fand ich auch die Energie, die hinter so einem Deal steckt nicht gut. Ich hielt mich von dieser Szene immer ein bisschen fern. Ich hab eher eine Existenz am Rande der Szene geführt.

In den letzten Jahren gab’s eine Veränderung. Es sind Leute nach Indien gekommen, um sich hier niederzulassen. Die suchen eine andere Qualität als die der Drogen und diese Qualität gibt es mittlerweile auch in Goa. Leute aus der Sannyasinzeit (Bhagwan- bzw. Osho-Anhänger) beschäftigen sich mit Body-Work, Healing oder im weitesten Sinn mit spiritueller Arbeit wie Psychodrama, Familienaufstellung, Massage. Die haben ihre Studien in Poona abgeschlossen, haben es in Europa oder Australien versucht, spürten dann aber, dass sie doch nach Indien gehören und haben sich in den letzten zwei bis drei Jahren hier in Goa niedergelassen, haben Häuser gekauft und in deren Kommune ist mehr Leben drin als in der Ibiza-Drogen-Connection-Szene.
Es gab schon lange diesen Entspannungs- und Erholungstourismus zwischen Poona und Goa. Das waren aber immer nur kurze Aufenthalte In Candolim gab es einen der wenigen Beaches mit ’ner Gästehausszene. Inzwischen existiert ein Community Network, das über ganz Goa verstreut ist. Dann gibt es natürlich noch Leute, die nicht aus der Osho-Szene kommen und sich hier niedergelassen haben. Zum Beispiel die Tierschützer die das Animal-Rescue-Tierheim gebaut haben; die Anita, die Waisenheime gegründet hat. Anita ist eine Engländerin in den Sechzigern, die hatte auf Urlaub in Goa einen sehr schweren Unfall, hat eine Grenzerfahrung gemacht und ist vom Krankenhaus ins Leben zurückgekommen. Sie hat sich daraufhin entschieden im neuen Leben soziale Arbeit zu machen. Mit den Müllkindern in Mapusa hat sie angefangen. Sie ist auf die Flohmärkte gegangen und hat Geld von Westlern gesammelt. Damit hat sie das erste Heim gepachtet. Anita war so erfolgreich, dass sie inzwischen für ihre Kinder fünf Häuser besitzt, die ihr geschenkt wurden. Sie hat mehrere Busse, sie hat zwei Schulen, sie hat Tageseinrichtungen in den Slums gegründet, wo sie Essen verteilt.

In Goa gibt es soziale Brennpunkte, die man als Tourist gar nicht so wahrnimmt. Zwischen Vasco und Mapusa sind die größten Industriesiedlungen mit den entsprechenden Slums.
Die Engländer und Holländer mit dem Tierheim haben sich vor allem der Hunde angenommen. Die sagten sich, es kann nicht sein, dass die Hunde am Ende der Saison in einen Sack kommen und erschlagen werden. Die Einheimischen haben Angst davor, dass die Hunde im Monsun sich zusammenrotten, alte Leute und Kinder anfallen und fressen, was oft passiert. Streunende Hunde kann man bei dem Tierheim abgeben. Die Hunde werden dort geheilt, wenn sie krank sind, geimpft, sterilisiert und wenn man einen will, kann man sich einen aussuchen. Es gibt noch das Haus der Wasser- und natürlichen Hausgeburten, das von einer Deutschen betrieben wird. Das alles geschieht in dem Dorf Assagao, in dem auch ich mein Büro, Restaurant und Gästehaus habe.


Wie ist es Dir gelungen dein Geschäft so erfolgreich aufzuziehen?

Nach dem ersten Erfolg versuchten natürlich gleich ein paar Leute uns zu kopieren. Das verursachte anfangs etwas Unruhe. Ich habe dann gemerkt, wenn ich das richtig gut aufziehen will, muss ich mein Geschäft legal organisieren. Gibt es beispielsweise einen Unfall, kommt man mit Polizei in Kontakt, dann hast du Probleme. Man kann ein Hit-and-Run-Geschäft machen, aber nicht, wenn man sich hier niederlassen will. Bis 1994 konnte man als Ausländer gar keine Firma gründen, kein Geld investieren und auf eigenen Namen was besitzen. Eines Tages bekam ich Besuch von einem Aurovillianer – Thomas Warneke – der genau zum gleichen Zeitpunkt, mit der genau gleichen Idee wie wir angefangen hat. Er hat dann aber gesehen, dass uns der Artikel in der Zeitschrift Motorrad einen immensen Vorsprung beschert hat. Er hat uns Zusammenarbeit angeboten, die wir annahmen. Thomas hatte viel von dem, was ich nicht hatte: Der lebte schon zwölf Jahre hier. Er ist mit seiner Bullet schon überall in Indien gewesen. Dadurch habe ich einen riesigen Erfahrungsschatz hinzu gewonnen, den ich mir erst über Jahre hätte erarbeiten müssen. Er kannte alle Hillstationen (Bergstädte) im Süden, kannte die einzelnen Streckenabschnitte.

Ein Vorteil war, dass er in der Kommune von Auroville lebte. Er hat mir damals ein Geschäftsmodell vorgeschlagen. Wir konnten unsere Firma als Teil des Auroville-Trusts registrieren lassen. Wir haben dann so getan als organisierten wir für Aurovillaner und Gäste Motorradrundfahrten. Damit waren wir Teil des Trustes, kein Profitunternehmen, alles gehörte dem Aurovilletrust. Die Einnahmen bekamen wir vom Trust und davon konnten wir unsere Ausgaben absetzen und alles war legal. Wir konnten legal Rechnungen schreiben auch Motorräder anmieten.

Das hat uns einen großen Push gegeben und drei Jahre funktioniert. Dann hat Thomas 1995 die Entscheidung getroffen, nach Europa zurückzukehren. Das war auch für mich ein entscheidendes Jahr, denn in dem Jahr habe ich wichtige Lektion gelernt. Ich hatte mich damals in der Szene mit vielen Leuten angefreundet, unter anderem mit einem gewissen Dietmar, der hier eine Szenegröße war und mehrere Gästehäuser betrieb. Mit dem habe ich ein Restaurant als Bikerkneipe umgestaltet. Wir nannten das Enfield-Mahal. Das sollte der erste richtige Bikertreffpunkt sein, mit Live-Musik, Rockbühne, Coffeeshop, Enfieldwerkstatt, Lederboutique. Das hatten wir alles wunderbar hingekriegt. Dann ist Dietmar noch im ersten Jahr unseres laufenden Geschäfts bei einem Motorradunfall verstorben. Nach seinem Tod ist ein Erbschaftskrieg ausgebrochen. Der hatte zwei Frauen, beide Inderinnen und die Geschäfte liefen damals noch über die Namen der Frauen, da er ja Ausländer war. Auf der anderen Seite traten genau in diesem Jahr die ersten Wirtschaftsliberalisierungsgesetze in Kraft.
Aber das verhinderte diesen Zickenkrieg nicht. Am Ende hatte sich mein Anteil an diesem Geschäft in Rauch aufgelöst. Ich blieb zurück mit Nichts, da ich nicht beweisen konnte, was ich reingesteckt hatte. Drei Motorräder konnte ich retten. Wir hatten eine komplette Kneipeneinrichtung finanziert, Stereoanlage, Kühlschränke und so weiter – alles weg. Dann bin ich erst mal nach Deutschland zurückgegangen und brauchte einen Sommer, um mich wieder zu sammeln. Das Resultat war: Ich wollte zurück nach Goa und es noch mal versuchen.

Ich hatte inzwischen gehört, dass man Firmen gründen konnte. Ich kannte in Bombay einen Firmensekretär und bin gleichzeitig bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer gelandet. Ich hatte einen Businessplan, zumindest was ich dafür hielt und fragte, nehmt ihr mich auf? Neben Daimler, Dresdner Bank, Siemens. Die lachten zuerst etwas unsicher, aber sie nahmen mich auf. Dann habe ich den Freund angerufen, der mich in meiner Kneipe auf Zypern vertrat, noch einen anderen Freund und habe sie gefragt, ob sie meine Geschäftspartner werden wollen. Das waren zwei lange nächtliche Anrufe und am Morgen wusste ich, dass meine Firma ‚Peter and Friends Classic Adventures Privat Limited‘ heißen sollte. Und das wir alles rund um Motorradtouren, Werkstatt, Abenteuertouren als Geschäftsform machen wollten, einschließlich Gästehäuser, Dschungellodges. Dann mussten erstmal unglaublich viele Papiere ausgefüllt werden.

Das erledigte alles ein Freund. Ich setzte wieder mal mein Geld ein und musste ein halbes Jahr warten, bis ich den zustimmenden Bescheid der Zentralregierung bekam. Damit konnte ich die Firma anmelden. Ich musste noch ein Bankkonto anlegen, um das Geld aus dem Ausland einzuführen. Das hört sich jetzt alles so einfach an. Aber jeder dieser einzelne Schritte in Indien ist ein Unternehmen, das Zeit frisst. Hinzu kam, dass die Gesetze neu waren und noch kein Ausländer in Goa eine Firma im alleinigen Besitz hatte. Jointventures gab es schon. Ich hab mir damals die Hacken abgelaufen in Goa. Auf den Ämtern sagten die immer: Diese Regelung gibt es nicht. Schließlich realisierte die Zentralregierung, dass die neuen Gesetze und Verordnungen die Ministerien der verschiedenen Unionsstaaten nicht erreichen. In meinem Fall wurde die Entscheidung in Delhi innerhalb eines Monats gefällt, solange niemand einen begründeten Einspruch erhob. Für unsere Geschäftszwecke haben wir also die Genehmigung bekommen und sind nach Goa. Nachdem es immer noch Schwierigkeiten gab, bin ich zum deutschen Honorar-Konsul in Panjim: David Menezes, der zweite Sohn eines der wichtigsten industriellen Häuser hier, Menezes Group of Company. Die betreiben jede mögliche Art von Handel, vor allem Chemie-Produktionen, zum Beispiel sind die für die Beiersdorfproduktion für ganz Indien zuständig, dann Nivea, ebenso Tesafilm. Die haben einen starken Draht zu Deutschland. Als die Bundesregierung für ihr Konsulat jemand suchte, der die deutschen Firmen und Interessen vertreten könnte, sind sie auf den zweiten Sohn gestoßen. Der ist kein Geschäftsmann ist sondern ein Schöngeist. Sein Bruder ist einer der großen Business-Tycoons. Neben kulturellen Geschichten hat er auch deutsche Geschäftsinteressen unterstützt. Irgendwie fand David Menezes meine Geschäftsidee gut und hat sie zu seinem persönlichen Anliegen gemacht. Auf einmal hatte ich einen Steuerberater und Rechtsanwalt von der Menezes-Group und konnte über deren Kontakte verfügen. Innerhalb von zwei Jahren hatte ich mein Geschäft aufgebaut. Es gab keine ernsthaften Probleme mehr. Man muss ja erst mal in die Bürokratie reinkommen, denn die können verschleppen, dann muss man erst mal wieder mit Bakschisch nachhelfen.

Später hab ich dann die Frau meines Lebens gefunden, zumindest hab ich das damals geglaubt. Ich habe sie geheiratet, hab ihren Namen angenommen, was sehr gut passte, denn sie war Brasilianerin und hieß mit Familiennamen Paulo dos Santos. Nun hieß ich Peter Paulo dos Santos. In Goa fällt man damit gar nicht auf. Viele haben hier noch portugiesische Namen. Wir wollten damals auch ein Nest haben, ein Haus. Ich lebte damals schon im dritten gemieteten Haus. Das läuft immer gleich ab. Du findest einen schönen Platz mit einem Haus drauf. Du renovierst, legst einen schönen Garten an, machst alles richtig toll. Dann kommt der Vermieter und sagt: Wow, ist das ein toller Platz, jetzt will ich erst mal die dreifache Miete haben. Oder er will gleich selber einziehen.
Wir haben in Candolim ein Haus gefunden. Inzwischen schossen die Hotels nur so aus dem Boden. Die Strände waren plötzlich bevölkert mit allerlei Buden, kleinen und großen Restaurants. Das Klima zwischen den Einheimischen mit den Ausländern die hier länger leben, begann sich auch meist wegen monetärer Angelegenheiten zu verändern. Ich schaute mir das eine Weile an, dann war klar, ich möchte wie ein Einheimischer leben. Darum zog ich in ein Dorf ohne Tourismusprojekte. Dazu musst du nur drei, vier Kilometer ins Inland gehen. In Assagao habe ich dann ein tolles Grundstück gefunden. Es dauerte ein Jahr, bis ich die Unterschriften der Erbgemeinschaft von neun Geschwistern zusammen hatte. Die waren über drei Erdteile verteilt. Ich beschäftigte zwei Anwälte und zusätzlich hat mir der Dorfbürgermeister geholfen. Man muss da sehr umsichtig vorgehen. Wenn du einen Vertrag mit zwei Brüdern hast, kann der dritte Bruder kommen und sagen: Ich hab auch noch Rechte. Du hast bei jedem Grundstück ungefähr zehn oder 20 Erben. Bei mir waren es nur neun. Die Familienverhältnisse waren klar und alle haben zugestimmt. Das Schwarzgeld, das ja bei solchen Transaktionen sehr wichtig ist, wollten sie an die Vatikanbank überwiesen haben, weil einer von denen Priester im Vatikan ist. Über die Firma hatten wir das Grundstück schließlich erworben. Bis vor wenigen Jahren wäre das gar nicht möglich gewesen.
Ich hab mich dann sehr schnell dem Dorf angepasst. Der größte Fehler, den die Ausländer machen, ist, dass sie die Einheimischen nicht wirklich respektieren. Sie unterschätzen oder schätzen sie überhaupt nicht, trauen ihnen nichts zu. Ich habe so viele westliche Leute gerade daran scheitern sehen. Da gibt’s Leute, die glauben, nur weil sie aus Europa sind, seien sie etwas Besseres. Inzwischen habe ich einen Blick dafür, wer es hier schaffen kann oder nicht.“

Wie ist es mit deiner Frau weiter gegangen?

Wir lebten uns auseinander, sie liebte ihr Land Brasilien und ist dahin zurück. Wir wollten ursprünglich fünf Jahre in Goa bleiben, das Geschäft aufbauen und dann gemeinsam nach Brasilien gehen. Dem lag ein Plan zugrunde. Schon damals galt meine Liebe eigentlich dem Himalaja. Ich hatte immer viel Energie und Kraft in den Bergen geschöpft, viel mehr als hier am Meer. Wenn ich mich heute entscheiden dürfte, würde ich mich für die Berge entscheiden. Ich wüsste auch genau wo.

Wo?

Das verrate ich nicht. [Peter lacht] Im Kullu-Valley abseits der ausgetreten Pfade. Da gibt’s Plätze, die sind wunderschön, da fühle ich mich wohl.

Mein Partner Klaus hatte nebenbei ein Reisebüro in Deutschland übernommen das er fünf Jahre betreiben wollte, um dann in Goa in den Vorruhestand zu gehen. Ich wollte fünf Jahre lang die Firma hier in Goa aufbauen, dann zur Hälfte im Himalaja leben und zur Hälfte in Brasilien. Nun ist Klaus, zwei Jahre nach Dietmar, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Meine Frau und ich hatten gerade das Grundstück gekauft, wir waren mit dem Innenausbau beschäftigt und er kam her, um sich die Lage des Grundstücks und den Umbau anzugucken. Eines Abends hat er mit dem Motorrad sehr sportlich überholt und ist mit dem Kopf in den Spiegel eines entgegen kommenden Busses gekommen. Klaus hat sich das Genick gebrochen und war sofort tot. Damit hatte ich meinen Hauptpartner verloren.
Mein zweiter Partner war schon vorher in beidseitigem Einvernehmen aus dem aktiven Geschäftsleben ausgeschieden. Nun stand ich wieder alleine da. Entweder alles abbrechen und alles verlieren oder alleine durchstarten, neue Freunde und Partner suchen.
Ich entschied mich, es mit neuen Freunden weiter zu betreiben. Das lief ein paar Jahre ganz gut, dann ging das in Indien mit der Pest los, das Erdbeben, die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Pakistan im Kaschmir, der Beinah-Atomkrieg zwischen diesen Ländern. Da war touristisch tote Hose. Wir haben gerade noch so viele Touren gehabt, das wir überleben konnten.
Ich habe mich oft gefragt wie lange ich noch durchhalten kann und meine Leute bezahlen. Wann muss ich hier endgültig abbrechen? Ich wollte sogar den ganzen Laden verkaufen. Nur wollte damals keiner etwas dafür hergeben. Da wollte niemand investieren. Jetzt ist das anders. Ich hab durchgehalten, meine Frau nicht. Sie hat gesagt, sie hält das hier nicht aus.

Was meinte sie damit?

Sie war eine starke und emanzipierte Frau, sehr körperbetont und sexy. Sie war Tänzerin. Die ist hier mit der super-verklemmten Machogesellschaft nicht klargekommen. Inder sind das lustfeindlichste und sexfeindlichste Volk das ich kenne. Brasilianer sind genau das Gegenteil, bei denen ist körperlicher Ausdruck alles. Meine Frau ist hier dauernd an Grenzen gestoßen. Vom Verständnis her, von der Mentalität. Sie ist als Schülerin hierher gekommen, sie wollte indischen Tanz lernen, Sanskrit studieren und Tabla spielen. Das hat sie in jahrelangem Studium alles gelernt. Danach hatte sie ihre kulturelle Mission erfüllt. Sie hatte vorher in Ägypten Bauchtanz gelernt, in Italien Ausdruckstanz. Sie wollte mit dem Erlernten zurück nach Brasilien, um damit zu arbeiten. Unsere Liebe und die Heirat hat das ein paar Jahre aufgeschoben, aber letztlich hat das nichts an ihrem Konzept und ihrem Willen geändert. Der Witz dabei ist, dass ich es in den fünf Jahren unserer Ehe nie bis Brasilien geschafft habe. Und das, obwohl mein gelobtes Traumland ursprünglich mal Brasilien hieß. Nun sitz ich hier in Goa – Indien.

Das klingt, als wäre eure Trennung sehr von gegenseitigem Verständnis geprägt gewesen?

Die Ablösung von meiner Frau war sehr schwierig, sehr emotional. Letztlich war es aber für beide die richtige Entscheidung. Ohne sie hätte ich das Haus in Assagao nicht aufgebaut. Sie hat mir viel geholfen. Sie hat zwei Jahre mit mir auf der Baustelle gelebt und als wir aus dem Gröbsten heraus waren, hatte sich unsere Beziehung in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Seither lebe ich in meiner Firma als Großfamilie mit ganz klaren Bezügen und wechselnden Partnerinnen. Als Indien in den letzten Jahren mehr und mehr in Mode kam durch Ayurveda, die farbenfrohen Stoffe, durch das indische Essen, den Bollywoodfilmen und der Musik, verhalf das auch uns zu einem Aufschwung. Vorher war Indien immer besetzt mit Armut, Dreck, Hunger und einer Art von Spiritualität, die die meisten Leute nicht verstanden haben.

Also gab es mit einem Mal einen richtigen Indienboom?

Die Tourismuszahlen sind immer noch relativ niedrig. Wenn man bedenkt, dass jährlich 20 Millionen nach Mallorca reisen. In Goa sind jährlich Dreihunderttausend Gäste (plus 700.000 Inder), darunter 50.000 Chartergäste, was sehr wenig ist, soviel hat Mallorca in einer Woche. Ich hab hier verschiedene Wellen von Touristen erlebt. Die Zeit der Wagenburgen und die der israelischen Festungen (Häuser, voller Israelis, in die sich niemand mehr hinein getraut hat) ist vorbei. Eine Zeit lang gab’s am Vagator-Beach nur noch Israelis, die wollten auch niemand anderes dort haben. Das die nicht mehr so dominant sind, hängt mit den Russen zusammen. Die inzwischen angekommenen Russen sind in mancher Beziehung noch dominanter als es die Israelis jemals waren. Die Russen sind nachhaltiger. Sie treten nach außen nicht so aggressiv auf, sind aber viel durchsetzungsfähiger. Wenn die was wollen, dann schreien sie die nicht Leute an, die machen sich den Weg einfach frei. Wenn sie Gästehäuser übernehmen wollen, dann kriegen sie die auch. Die gehen da vor wie zu Hause. Wer nicht freiwillig geht, wird unter Umständen auch umgelegt. Die Russen haben sich auch politisch eingearbeitet und manche kommen mit dem klaren Ziel, sich hier niederzulassen. Die Israelis kommen hierher mit dem Ziel Spaß zu haben. Das Einzige, was die interessiert, ist der kleine Drogenhandel, denn damit können sie schnell Geld verdienen um ihre Zeit hier zu finanzieren. Die Russen dagegen kommen mit Geld und wollen nachhaltig Geschäfte übernehmen, um ihr Schwarzgeld zu bunkern. Jeder Russe will erst mal aus Russland weg. Man weiß ja nicht wie das politisch dort weitergeht, also versuchen viele, sich erst mal ein Standbein zu schaffen. In Morjim (Nordgoa) ist jedes zweite neu gebaute Haus mit russischem Geld gebaut.

Und wie sind die Alteingesessenen damit klargekommen?

Es gibt die Geschichte von dem belgischen Pärchen, die als erste das Restaurant Olive Ridley hatten. Die hatten mit dem World-Wildlife-Fund-Geld eine Schildkrötenschutzstation aufgebaut. Vor rund sieben Jahren hatten die ein wirklich schönes Haus hinter dem Strand, das Restaurant dazu, idyllisch und abgelegen. Das lief alles ganz gut. Eines Tages kamen russische Zuhälter und haben da ihre Mädels geparkt. Tagsüber haben sie die an den Strand geschickt und abends wurden sie mit Ambassadors und Limousinen abgeholt und in die Fünf-Sterne-Hotels zum Anschaffen gebracht. Die Russen haben gleich gemerkt, dass ist der ideal abgelegene Platz. Die haben in der Nähe Land gekauft und wollten natürlich auch den schönsten Platz haben. Dann haben sie den belgischen Besitzern viel Geld geboten. Die lehnten ab, schließlich waren sie auch nicht arm. Die brauchten das Geld nicht, die wollten hier leben. Dann ging’s mit Mafiamethoden los. Einschüchterungen und Drohungen. Nun hatten die Belgier sehr guten Kontakt zu Presse und Politik. Diese ganze Affäre ging durch die Zeitungen, schließlich kam ein Minister und sicherte dem Pärchen zu, dass ihnen hier nichts passieren wird. Die Russen änderten ihre Strategie, nachdem sie mitbekommen hatten, dass es in der Ehe kriselte. Nun haben sie eines ihrer besten Mädels dem Mann angedient. Der ist total auf die 30 Jahre jüngere Russin hereingefallen und hat sich schwer in sie verliebt. Die Frau des Belgiers ist abgehauen. Der Belgier hat dann angefangen mit der Russin richtig Party zu machen und zu saufen. Nun gewannen die Russen Einfluss. Der Belgier hatte natürlich wie alle anderen Ausländer auch keine richtige Genehmigung für sein Haus. Schließlich haben die Russen es fertig gebracht, das über das Bürgermeisteramt der ‚demolition act‘ in Kraft trat. Der bedeutet grob gesagt, dass innerhalb der 500-Meter-Zone vom Strand nichts gebaut werden darf. Das wunderschöne Haus wurde abgerissen. Heute stehen direkt daneben zwei völlig neue dreistöckige Häuser, die den Russen gehören. Das Grundstück des Begiers ist immer noch leer, es schlummert vor sich hin, wie so ein Mahnmal. Leg dich nicht an! Das steht auf einem Schild, das der Belgier selbst angebracht hat.

Der Belgier reiste ab?

Nein, der baute sein kleines Strandlokal wieder auf und versucht damit über die Runden zu kommen. Daneben ist das größte russische Mafiarestaurant. Da musst du mal reingucken, was da muskelbepackte Männer und Frauen rumlaufen! Das ist hier der größte Russentreff. Die junge Russin ist danach, wie schon seine Frau vorher, abgehauen. Jetzt fährt der Belgier alleine auf seinem Scooter. Seine ehemalige Frau, die auch das Geld hatte, lebt nun auf der Vogelinsel Corao-Island. Sie hat dort ein altes Haus gekauft und für Naturliebhaber ein paar Zimmer hergerichtet. Das muss sehr schön sein. Ich fand es schade, dass die Ehe auseinander gegangen ist. Die Frau war das Herz des Ladens. Er war früher mal Rennfahrer. Das ist eine der vielen Geschichten, die ich von Goa kenne.

So gehen also die Russen vor?

In Südgoa sind die Russen richtig dominant, Palolem ist voll von denen. Es gibt mittlerweile auch viele Szenerussen, junge Russen, die Drogen nehmen, Yoga betreiben, es gibt sogar spirituelle Russen, auch solche, die nur wenig Geld haben. Es gibt Russen, die kein Wort Englisch sprechen, aber hier klar kommen, weil die auf ein russisches Netzwerk von Ärzten, Kneipen, Visa-Agenten und so weiter zumindest in Küstennähe zurückgreifen können. Die machen auch ihre eigenen Partys. Auf dem Saturday-Night-Market und auf dem Flohmarkt mittwochs treten sie kaum in Erscheinung. Da wiederum sind die Israelis als Händler mehr vertreten. Ich war mal in Chapora in einer Russenkneipe, da hast du als Nichtrusse ein komisches Gefühl. Nach den hebräischen Schriftzeichen sitzt du auf einmal vor den kyrillischen. Die Russen sind auf jeden Fall beliebter, als es die Israelis jemals waren. Mit Israelis machst du nur Geschäfte, wenn du darauf angewiesen bist.

Warum ist das so?

Das kann ich nur aus der zweiten Reihe heraus beurteilen. Das Volk der Israelis steht unter so einem Existenzdruck, dass die permanent Adrenalin-gepowert sind. Sie scheinen immer aggressiv drauf zu sein, auch dann, wenn es gar nicht notwendig ist. Daneben sind sie arrogant, Respekt gegenüber Indern oder Goanern kennen die nur ganz selten. Die halten sich für das auserwählte Volk. Diese Nummer ziehen sie auch gegenüber Europäern, Amerikanern und Australiern durch. Das ist einfach so. Das, was ich sage, ist eine Generalisierung und trifft selbstverständlich nicht auf alle zu. Es gibt auch wunderbar angenehme Israelis. Aber es sind wenige. Die Israelis haben eine Schachermentalität drauf, dass du meinst, die wollen eigentlich überhaupt nichts bezahlen. Wenn sie dann anfangen zu Handeln, tun sie das oft in einer Art und Weise, die für den Gegenüber demütigend ist. Dazu kommt die Rudelmentalität. Da kommen drei Israelis und mieten ein Zimmer. Eine Stunde später sind da zehn oder zwanzig Leute drin. Solche Nummer liefern die hier ab. Viele Israelis kommen direkt vom Militärdienst nach Indien, die sind noch verroht und voll auf dem Power-Trip. Das ist ja auch das Ziel des Armeedienstes, powermäßig und aggressiv drauf sein. Entsprechend angespitzt kommen die nach ihrem Dienst hier an. Aber wie gesagt, die israelische Invasion ist vorüber, das hat sich vielleicht etwas verlagert, in Gokarna sollen jetzt viele sein, ebenso in Hampi.

Was war dein größtes oder beeindruckendstes Erlebnis in Indien?

Ich bin durch eigene Dummheit und irre Zufälle mal vor einiger Zeit in einen lebensgefährlichen Konflikt geraten, mit einer Gruppe von sehr gefährlichen Indern, ohne das mir das bewusst war. Ich bin dem Tod zweimal knapp von der Schippe gesprungen. Da war es großartig zu spüren, wie sich in dem Dorf Assagao, die Einheimischen hinter mich gestellt und mir uneigennützig geholfen haben. Sie taten das, weil sie das, was ich mache, gut finden. Das war ein ganz starkes Erlebnis. Das hat mich sehr berührt, das war eine Art Schlüsselerlebnis, in dem ich gespürt habe, hier willst du zu Hause sein.

Was ist denn genau passiert?

Ich bin in eine Schlägerei mit ein paar Locals geraten. Dabei stellte sich raus, dass das Leute waren, die für Obermafiosis arbeiten. Das ist dermaßen eskaliert, die haben wirklich versucht, mich umzubringen und hätten das auch beinahe geschafft.

Wie?

Die haben mir mit Eisenstangen auf den Kopf geschlagen. Ich konnte gerade noch fliehen. Mit Eisenstangen haben sie die Scheiben des Autos eingeschlagen und dann wollten sie mich abstechen. Ich bin raus, hab die Hände übern Kopf gehalten, und mir dabei alle Finger gebrochen, weil die mit den Stangen draufgehauen haben. Ich bin dann einfach ins Wasser gesprungen und geschwommen. Das war in Siolim an der Fährstation. Ich bin soweit geschwommen, bis ich an einer Fischerhütte rausgehen konnte. Der Fischer hielt mich versteckt. Das war beeindruckend, der hat gesagt, komm‘ hier rein, hier bist du sicher. Die Gangster haben mich noch gesucht. Die Polizei kam erst zwei bis drei Stunden später. Das war ein richtiger Anschlag, in dem es um Leben oder Tod ging.

Das war natürlich eine Riesengeschichte auf den Titelseiten aller goanischen Zeitungen. Selbst der Chiefminister hat mir seine Leibwache vor die Tür gestellt. Das war notwendig, nachdem ich mitbekommen hatte, mit wem ich mich da angelegt hatte…

Und wie bist Du da wieder rausgekommen?

Für mich war klar, ich muss den Konflikt lösen, sonst kann ich hier nicht leben. Mit Politik hätte ich das nicht lösen können. Es war die Mafia. Da musste ein Kompromiss ausgehandelt werden. Und genau das haben die Leute in meinem Dorf für mich getan. Wenn das nicht gelungen wäre, hätte ich einpacken können. Mein Leben und mein Business war nichts mehr wert hier. Niemand hätte für mich gearbeitet oder arbeiten können.

Warum hast Du Dich denn nun eigentlich mit Locals geprügelt?

An einem Nachmittag, beim Warten auf die Fähre, hat ein besoffener Halbstarker meiner Frau an die Brust gefasst. Ich habe ihm dafür eine gehauen, aber richtig.

Der Typ sah aus, wie so ein Bombaytourist, ein Inder. Es war aber ein Killer von der Localmafia. Den haben wir erst überwältigt, dann ist er abgehauen und kam mit Jeeps und ein paar Jungs zurück. Die haben versucht mich abzustechen. Ich hätte dem Typ keine gehauen, hätte er nicht meine Frau angefasst.

Der hatte mit dem Niederschlag in seinem Bekanntenkreis völlig das Gesicht verloren. Als Muskelmann und Killer konnte er sich nur rächen, indem er versuchte, mich umzulegen. Sonst hätten sich seine Leute totgelacht und ihm den Job weggenommen. Sein Respekt als Killer war eben, dass ihn keiner anfasst. Und dann hab ich ihm so eine gehauen, dass er auf dem Boden lag vor all den Leuten…

Das war die heikelste, bedrohlichste aller Situationen für mich hier in Goa.

Daraus ergab sich die wunderbare Solidarität meiner Leute aus dem Dorf. Die sagten, der Chiefminister kann dich eine Woche schützen mit seiner Leibgarde. Dann ziehen sie ab und wenn wir das nicht für dich ausgehandelt haben, holen die dich. Dann überlebst du das nicht. Der Mord an sich gäbe ein Verfahren, das sich fünf Jahre hinzieht und dann erinnert sich fast niemand mehr daran. Selbst wenn sie dich nicht packen sollten, treten sie an deine kleinen Angestellten heran und jagen denen solche Angst ein, dass sie es nicht mehr wagen zu dir zu kommen. Dann kannst du den Laden zumachen. – Ich war als Folge des Anschlags eine Woche im Krankenhaus. Als ich raus kam, war schon alles ausgehandelt. Ich musste zur Polizei und Stellung beziehen. Ein Teil des Abkommens war, dass ich bei der Gegenüberstellung Niemand erkennen würde, so dass es zu keinem Verfahren käme. Wir haben die Gerichtskosten bezahlt, sie die Reparatur des Autos. Daraufhin gab’s den Nichtangriffspakt auf ewig. Hinter dieser Gang steckte ein Minister. Der ist der Boss der ganzen Gegend in Siolim. Der war so korrupt, dass ihn die Kongress Partei aus dem Amt entfernte. Dem gehört das größte Busunternehmen und die sind Weltmeister im Schmuggel mit Mumbai (Bombay). Die können natürlich nicht gebrauchen, dass sie in der Zeitung stehen. Mit unseren guten Kontakten zur Presse standen wir oft auf Titelseiten mit Bildern. Das hat denen natürlich auch zugesetzt. Aber ohne diesen Kompromiss wäre ich nicht mehr hier. Hier hätte ich keinen Fuß mehr halten können. Letztendlich war es eine tolle Erfahrung. Ich habe daraus gelernt, das wenn man sich in die Gemeinschaft integriert, wie ich in meinem Dorf, dann trägt einen die Gemeinschaft auch. Ich war erst zwei Jahre da.

Die schrecklichsten Erlebnisse waren Unfälle, die ich hier erlebt habe. Unfälle, bei denen Freunde oder Partner am Boden liegen und du kannst nichts mehr tun, weil sie Kopfverletzungen haben und du weißt, die sterben jetzt. Ich war nicht immer direkt dabei aber oft kurze Zeit später.

Dann gab’s noch ein Erlebnis in Nepal. Dort hat ein Tourteilnehmer ein Kind angefahren. Das Kind ist kurz darauf im Krankenhaus gestorben. Ich war mit der Familie dabei. Das war schrecklich. Das waren Bilder, die ich nie vergessen werde. Ich hab den Kopf des vierjährigen Mädchens gehalten und das Blut lief aus dem offenen Kopf in einen Eimer. Das Mädchen wollte nicht sterben. Wir wollten noch einen Helikopter holen, um sie nach Kathmandu ins Krankenhaus zu bringen, aber irgendwo war klar, das ist sinnlos, die ist nicht mehr zu retten, die stirbt jeden Augenblick.

Mit Leben und Tod gehen die Inder ungeschminkter um. Als ich an die Unfallstelle meines Partners kam, da hatten sie ihn schon in einen Lungi gewickelt und hinten in den Jeep gelegt. Das war aber nur ein kurzer Polizei-Jeep, da hingen die Beine hinten raus und baumelten hin und her. Er war schon tot. Die sagten zu seiner Freundin, sie sollte dem Fahrzeug die 20 Kilometer in die Polizeistation hinterherfahren. Die konnte nicht mehr. Die war fix und fertig. Ich kam gerade dazu, als sie losgefahren sind. Ich habe den Konvoi angehalten und die Bullen fertiggemacht, dass das so nicht geht. Dann haben die mich angemacht und irgendwie haben wir uns dann geeinigt. Hier in Indien lernt man auch autoritäres Auftreten, wenn’s drauf ankommt. Wenn man wie ich, viel auf Straßen unterwegs ist, sieht man teils grausige Unfälle. Da liegen stundenlang Leichenteile rum. Indien ist einfach intensiv in jeder Beziehung.

Was ist dir in deiner jetzigen Lebensphase das Wichtigste?

Liebe. Liebe – Darum dreht sich’s. Das ist meine Erkenntnis. Liebe zu allen Menschen, zu allen Tieren, zu mir selbst, zu meiner Umwelt. Seit ein paar Jahren befinde ich mich in einem Prozess, in dem ich mich frage, was mein Leben ist, wer ich bin, was ist wichtig? Worum geht es hier überhaupt? Die wichtigsten Eckpunkte habe ich mir mit Hilfe der großen Meister angeeignet. Die erste Erkenntnis ist, dass Liebe immer bei einem selbst anfängt. Nur, wenn ich mich uneingeschränkt annehmen kann, wie ich bin, bin ich auch in der Lage Andere zu lieben. Dazu gehört natürlich auch die Erkenntnis, dass man letztendlich alleine ist. Jeder für sich. Man lebt alleine und stirbt alleine. Das zu akzeptieren fällt einem nicht leicht und ist unter Umständen ein längerer Prozess. Ich bin dankbar, dass mir dieses Leben vergönnt ist, dass ich das alles leben darf und fühle mich auf der Sonnenseite des Lebens. Ich denke, ich habe oft die richtigen Entscheidungen getroffen. Mit Liebe zu leben, das versuche ich mit allem, was ich tue. Respekt zeigen, aufrichtig sein, in dem was ich tue.

An welchen Meistern orientierst du dich?

Das geschriebene und gesprochene Wort des Osho. Ich war nie bei ihm, habe ihn nie persönlich kennen gelernt als er lebte, ich bin auch kein Sannyasin. Ich war aber von seinen Worten beeindruckt. Ich glaube, in seiner Quintessenz steckt viel Wahrheit. Die Klarheit ist für mich beeindruckend. Es gibt sicher noch andere große Meister, ich hab sie halt nicht kennen gelernt oder sie haben sich mir nicht erschlossen. Der Dalei Lama ist so ein Beispiel. Der sagt tolle Sachen, aber das ist nicht mein Weg. Dagegen kann ich das, was Osho sagt, annehmen.

Was würdest du einem jungen Wanderer oder einer jungen Wanderin als Ratschlag mit auf den Weg geben?

Mein Credo ist, wirklich mit Liebe leben und echten, ehrlichen Respekt zeigen. Das ist für mich die Grundlage vom Leben. Und die Bewusstheit in Entscheidungen. Wir leben ein Leben, das aus tausend Entscheidungen besteht. Das ist den meisten Menschen gar nicht klar. Für eine Entscheidung gibt es aber verschiedene Grundlagen. Den Kopf, die Emotion, den Instinkt. Da wir Menschen unterschiedlich sind, haben die einen viel Instinkt, andere weniger. Man muss erst mal wissen, zu welchem Typus man gehört, welche Neigung man hat. Man sollte sich unbedingt darüber bewusst sein, wie man eine Entscheidung trifft. Ich hab das bei mir herausgefunden und darum kann ich sagen, ich habe die wichtigsten Entscheidungen richtig getroffen. Darüber bin ich froh. Wenn zum Beispiel einer nach Indien reist, sollte er sich schon im Klaren sein: Was will ich da eigentlich? Wenn ich darauf keine Antwort vom Verstand habe, heißt das noch lange nicht, dass das schlecht ist, vielleicht sagt mir mein Instinkt: Indien – gut für dich. Indien, fühlt sich gut an. So war es bei mir.

Für wieder andere ist es ein warmes Gefühl aus dem bauch, irgendeine emotionale Regung. Es kommt mir auf die Bewusstheit an, zum Beispiel bei der Beantwortung der Frage „Warum Indien?“.

Von der Beantwortung so einer Frage vor der Reise hängt meiner Meinung nach schon viel ab, ob die Reise gesund und gut wird. Hat man diese Klarheit, kann nicht viel schief gehen. Viele der Leute, die ich hier treffe, haben überhaupt keine Klarheit. Die wissen nicht, was sie hier wollen. Die wissen auch nicht, was sie von sich selbst wollen. Das Grundmotiv ist oft die Flucht. Die Flucht vor sich selbst. Die Flucht vor der Erkenntnis, dass jeder erst mal mit sich alleine klar kommen muss. Sich selber lieben und das wir alle einsam sind – alleine. Das ist die Lebensgrundsituation. Jeder ist für sich alleine. Erst wenn man das akzeptiert, tief aus sich heraus, ist man in der Lage, eine Beziehung zu anderen aufzubauen.

Wenn ich die Chance hätte, würde ich gerne mal lange Zeit richtig alleine leben. Diese Erfahrung ist mir bisher verwehrt geblieben. Ich stecke einfach in einer Lebenssituation, in der ich immer viel mit Leuten zu tun habe. Ich verbringe hier immer wieder mal gerne einen Abend ganz alleine. Dann geht es mir jedes Mal gut. Ich kann das gut ab. Früher hätte ich das gar nicht gut abgekonnt. Das hat mit meiner Entwicklung zu tun. Ich war vorher genauso verwirrt wie alle. Immer nur Input, Konsum und so. Gegen die Einseitigkeit hat Indien gut gewirkt. Das ist bei mir in Indien passiert. Es hätte auch woanders passieren können. Mir sind dann auch noch die richtigen Leute begegnet. Wenn ich so zurückdenke, ich hatte Depressionen, weil ich nicht mehr weiter wusste. Ich war unglücklich und wollte mich nur noch umbringen. Es gab zu diesem Zeitpunkt keine Perspektive. Diese Schwebe hat mich dermaßen verunsichert, dass ich die Lust an allem verloren hatte. Heute kann ich mir kaum noch vorstellen, wie das war. Das ist nur fünf Jahre her. Dann habe ich Leute kennen gelernt, die mir den Weg aus dieser Sackgasse gezeigt haben. Der Weg ging über die Erkenntnis, dass es um Entscheidungen geht! Welche Entscheidungen sind es, die meine jeweiligen Situationen bedingen ? Diesen Zusammenhang kannte ich nicht. Nach und nach traf ich dann Entscheidungen, bei denen ich merkte, ich habe nicht alles, aber vieles selbst in der Hand. Wenn ich die Klarheit habe.

Peter, 47 Jahre, in Indien zu Hause seit 1989.

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